Kommentar:Sozial, aber ganz anders

Die Kluft zwischen Arm und Reich lässt sich nicht nur auf die Frage der Gerechtigkeit reduzieren. Wenn Menschen nicht mehr in die Bildung ihrer Kinder investieren können, dann schadet das auf Dauer auch der ganzen Volkswirtschaft.

Von Alexander Hagelüken

Deutsche Forscher haben diese Woche die Dimensionen sozialer Ungleichheit neu vermessen. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist für sie nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der Produktivität: Deutschlands Wachstum fällt demnach seit der Wiedervereinigung um 40 Milliarden Euro niedriger aus - weil ärmeren Schichten die Mittel fehlen, um in die eigene Bildung und die ihrer Kinder zu investieren. Diese Studie markiert, wie sich die Einschätzung der Ungleichheit wandelt: Einige Ökonomen sehen soziale Unterschiede nicht mehr nur als positiven Anreiz für Ärmere, sich mehr anzustrengen. Sondern auch als Negativfaktor, der die Volkswirtschaft stört.

Im breiteren politischen Sinne wird das seit Brexit und Donald Trump intensiv debattiert. Fürchten Menschen den Abstieg, stagnieren ihre Löhne, dann werden sie wütend auf den Kapitalismus - und fühlen sich zum Beispiel durch Trumps Attacken auf ausländische Firmen repräsentiert. Damit gerät die Globalisierung ins Wanken, das erfolgreiche Geschäftsmodell der Industriestaaten seit 20 Jahren.

Vom hart verdienten Lohn muss mehr übrig bleiben

Auch das Umfragehoch des SPD-Kanzlerkandidaten legt nahe, dass sein Pochen auf soziale Gerechtigkeit offenbar einen Nerv trifft. Nach vielen Jahren magerer Lohnabschlüsse, unsicherer werdender Jobs und prächtig verdienender Manager finden reichlich Deutsche, es gehe unfair zu. An Martin Schulz' Vorstößen lässt sich aber auch erkennen, wie sich Ungleichheit auf Dauer wirksam bekämpfen lässt - und wie eher nicht. Ökonomen erkennen neue wirtschaftliche Dimensionen des sozialen Grabens. Genauso bedarf es neuer Instrumente, also mehr als klassischer Sozialpolitik.

Was heißt das genau? Der SPD-Mann erntete Beifall, als er längeres Arbeitslosengeld für Ältere forderte. Wer Jahrzehnte in die Versicherung einzahlte, soll weniger schnell auf Hartz IV fallen, finden die Bürger. Doch Forscher belegen, dass längeres Arbeitslosengeld zwar manche Menschen vor dem finanziellen Absturz bewahrt, aber Anreize zur Suche nach teils mäßig bezahlten Jobs verringert und Frühverrentung verstärkt. Wegen solcher Nebenwirkungen sollte klassische Sozialpolitik nur ein Teil der Antwort auf die Ungleichheit sein.

Die SPD reagiert auf dieses Dilemma, indem sie das Arbeitslosengeld nur dann länger zahlen will, wenn sich jemand weiterbildet. Ein kluger Ansatz: Qualifikation ist das neue Bargeld des Arbeitnehmers. Nur wer dazulernt, wird in einer digitalen Wirtschaftswelt mithalten.

Es lohnt sich, diesen Gedanken zu vertiefen. Es ist nachhaltiger, in Arbeitsplätze zu investieren, als nur die Folgen der Arbeitslosigkeit abzumildern. Wer Ungleichheit und ihre politischen Schäden wie den Rechtspopulismus ernsthaft eindämmen will, darf nicht einfach nur den Sozialstaat ausbauen. Weil das häufig Nebenwirkungen auslöst. Stattdessen sollte er der großen Masse der Bundesbürger mit Jobs ein Leben ermöglichen, in dem sie sich nicht abgehängt fühlen. Vom hart verdienten Lohn muss mehr übrig bleiben.

Worum es da geht, zeigt ein Blick auf die Gründe für die gewachsene Ungleichheit. Kapitaleinkommen und Managergehälter stiegen seit der Jahrtausendwende um 30 Prozent, vier Mal so stark wie die Löhne. Die deutsche Rekordbeschäftigung erklärt sich auch aus stagnierenden Einkommen, Teilzeitstellen und befristeten Verträgen. Millionen haben am Ende des Monats nicht mehr als vor 15 Jahren - und können es sich nicht leisten, steigenden Mieten durch den Kauf einer Wohnung zu entkommen.

Eine moderne Politik sollte Geringverdiener von Sozialabgaben entlasten und die Mittelschicht von Steuern. Mehr Netto vom Brutto würde das Gefühl fördern, dass sich die ganze Arbeit für einen wirklich lohnt - und nicht nur für die Firma, ihre Manager und Aktionäre. Wenn der breiten Masse dann mehr Einkommen bleibt, sollte der Staat ernsthaft Vermögensbildung fördern: den Kauf von Immobilien und Aktien. Solches Eigentum sichert dem Bürger auf Dauer ein besseres Leben, während Sozialleistungen vor allem für den Notfall bereitstehen sollten.

Die SPD rückt soziale Gerechtigkeit ins Zentrum des Wahlkampfs, aber ein überzeugendes Gesamtkonzept fehlt ihr noch. Die anderen Parteien negieren entweder das Problem oder bieten nur Teillösungen. Schluss mit Ignoranz und Kleckerei. Ein großer Plan, der Bürger entlastet und ihnen Eigentum ermöglicht, wäre genau das richtige Instrument, um die zunehmende Ungleichheit zu bremsen - jenes zentrale Übel der neoliberalen Ära, dessen politische Sprengkraft seit einigen Monaten immer deutlicher wird.

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