Kommentar:Schauderhafte Parteien

Die Parteien in Großbritannien halten in diesen Tagen ihre Parteitage ab. Wer sich ihre Wirtschaftsprogramme ansieht, den kann es nur schaudern: Die Konservativen sind unfähig zu regieren, Labour würde das Land ins Chaos führen.

Von Björn Finke

Statt im Parlament werden in Konferenzsälen Reden geschwungen: In Großbritannien treffen sich die Parteien jedes Jahr Ende September bis Anfang Oktober zu ihren Parteitagen. Diese wenigen Wochen zeichnen ein zuverlässiges Bild davon, wie die Gruppierungen dastehen und was dem Königreich blühen könnte. In diesem Jahr ergibt sich ein ausgesprochen schauderhaftes Bild. Die regierenden Konservativen, die noch bis diesen Mittwoch tagen, streiten über den Brexit-Kurs. Und die Opposition von Labour träumte bei ihrer Sause in der vorigen Woche davon, bald die Macht zu übernehmen und dann sozialistische Ideen aus den Siebzigerjahren umzusetzen.

Die Regierenden sind also beim wichtigsten Thema, dem EU-Austritt, unfähig zu regieren. Die Opposition würde gerne regieren, und ihre Chancen dafür steigen, aber ihr Programm würde dem Land massiv schaden - hässliche Aussichten fürs Vereinigte Königreich.

Vor einem halben Jahr hätten die Versprechen von Labour niemandem Angst gemacht. Damals galt es als ausgeschlossen, dass der altlinke Parteichef Jeremy Corbyn jemals Premier werden könnte. Das hat sich inzwischen geändert. Schuld daran tragen Premierministerin Theresa May und ihre Torys. May rief übermütig Neuwahlen aus, führte jedoch einen bemerkenswert schlechten Wahlkampf. Labour schnitt darum im Juni überraschend gut ab, und May hat im Parlament seitdem keine eigene Mehrheit mehr.

Ihre Partei und ihr Kabinett sind zudem gespalten zwischen Anhängern eines harten und eines eher sanften Brexit. Minister rangeln schon um die beste Position für den Kampf um Mays Nachfolge, die Politikerin wird an der Spitze allenfalls noch geduldet. Tritt sie zurück oder verliert sie wichtige Abstimmungen, gibt es wohl Neuwahlen. Da tritt dann eine zerstrittene Konservative Partei gegen die euphorische Labour-Opposition an.

Die Sozialisten - der Begriff Sozialdemokraten passt nicht mehr - versprechen mehr Geld für Soziales. Studiengebühren will Parteichef Corbyn abschaffen, und er möchte Branchen verstaatlichen, etwa Bahnen, die Post, die Wasser- und Stromversorgung. Die Wohltaten will er mit mehr Schulden und höheren Steuern für Reiche und Konzerne finanzieren.

Die Labour-Führung bereitet sich auf Kapitalflucht und einen Absturz des Pfund vor

Dieser linke Traum könnte rasch zum Albtraum werden: Die nostalgische Sammlung von Konzepten aus den Siebzigerjahren würde Jobs und Investitionen kosten und die Staatsfinanzen zerrütten. Die Aussicht auf den Brexit verunsichert ohnehin die Unternehmen. Eine Regierung, die von Verstaatlichungen und Steuererhöhungen fabuliert, könnte der Wirtschaft den Rest geben - Manager würden dann lieber in Fabriken außerhalb des Königreichs investieren. Selbst die Labour-Führung geht davon aus, dass ihr Wahlsieg Kapitalflucht und einen Absturz des Pfund auslösen könnte. Die Sozialisten spielen solche Szenarien bereits durch.

Gegner eines EU-Austritts könnten geneigt sein, einen Labour-Sieg zu begrüßen. Schließlich warb die Partei vor dem Referendum für den Verbleib in der Union. Doch ein Premier Corbyn würde die Hoffnungen der Europa-Freunde wohl enttäuschen. Im Programm zu den Neuwahlen versprach Labour, das Land aus der EU zu führen und Einwanderung aus Europa zu kontrollieren. Diese Kontrolle gibt es aber nur außerhalb des Binnenmarktes. Die Partei gewann viele Sitze in ärmeren Regionen, die für den Brexit gestimmt hatten. Eine Wende in der EU-Politik käme Labour hier teuer zu stehen.

Die Partei verkündet nur, sie strebe einen irgendwie softeren Brexit an. Details vermeidet sie. Das ist klug, weil unter Wählern, Mitgliedern und Funktionären kein Konsens über den richtigen Austrittskurs herrscht. Als Premier müsste Corbyn Farbe bekennen und dabei zwangsläufig einen Teil seiner Fans verprellen.

Die Konservativen wiederum hofften, den Streit über den Brexit von ihrem Parteitag fernhalten zu können. May will sich dort als Premierministerin präsentieren, welche die Partei hinter sich hat und auch jenseits des EU-Austritts ehrgeizige Ziele verfolgt. Der irrlichternde Außenminister Boris Johnson sabotierte jedoch diese schönen Pläne. Pünktlich zum Treffen schrieb er May in einem Interview vor, wie der Brexit bitte auszusehen habe. Die Konferenz der Torys belegt daher vor allem, wie schwach Premier May und wie uneins und disziplinlos die Regierung ist.

Großbritannien zahlt für diese Schwäche einen hohen Preis. Mays prekäre Lage erschwert Kompromisse in den wichtigen Brexit-Verhandlungen mit Brüssel. Würde diese Schwäche am Ende einem dogmatischen Altlinken mit Verstaatlichungs-Fantasien den Weg nach 10 Downing Street ebnen, wäre das Desaster perfekt.

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