Kommentar:Raus aus der Teilzeit-Falle

Arbeitsministerin Andrea Nahles will Müttern die Rückkehr in Vollzeitjobs erleichtern. Ihr Vorhaben sollte der Anlass sein, die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf politisch insgesamt zu erleichtern. Dadurch würde die Wirtschaft wachsen.

Von Alexander Hagelüken

Die Diskriminierung beginnt mit dem Blick, den Mütter ernten, wenn sie wieder arbeiten gehen. Der besorgte Blick männlicher Bekannter, verbunden mit der Nachfrage: "Aber nur Teilzeit, oder?" Ja, nur Teilzeit. Zwei Drittel aller Mütter, die überhaupt arbeiten, arbeiten nicht voll. Sie wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen. Sie finden keinen passenden Kita-Platz. Sie müssen ohnehin mit dem Partner rangeln, ob ihr Arbeiten sich lohnt - weil sie als Zweitverdienerinnen extrem hohe Abgaben zahlen und der Hort kostet. Dann also Teilzeit.

Teilzeit ist wunderbar, wenn sie sich so gestalten lässt, wie es eigenen Wünschen entspricht. Sehr oft klappt das nicht. Obwohl sie länger arbeiten wollen, stranden Mütter dauerhaft bei Stellen unter 20 Stunden die Woche. Die sind für Arbeitgeber attraktiv, die ihr Humankapital vor allem zu Stoßzeiten benötigen. Mütter werden dabei häufig zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert. Ohne Karriere oder Weiterbildung. Schlechter bezahlt. Mit einer Mickerrente, die sie im Alter arm sein lässt, falls es bei ihrem Mann im Beruf doch nicht so läuft oder er sich trennt.

Die Politik sollte die berufliche Entfaltung der Frauen fördern, statt sie zu blockieren

Nun will Arbeitsministerin Andrea Nahles das Problem angehen. "Es kann doch nicht sein, dass viele Frauen, die aus familiären Gründen ihre Arbeitszeit reduziert haben, in der Teilzeit-Falle stecken", sagt die SPD-Politikerin. Ohne Details zu verraten, verspricht sie für den Herbst ein Gesetz: Frauen sollen mehr Rechte auf Rückkehr zur Vollzeit erhalten, was bisher stark limitiert ist. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, weil Nahles lange zögerte. Ihr Vorhaben sollte der Anlass sein, die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf politisch insgesamt mehr zu erleichtern.

Die Politik hängt dem Epochenwandel hinterher, den das Land erlebt. In der Generation der 1920 Geborenen hatten die meisten Frauen keinerlei Ausbildung. Heute sind die meisten Studienanfänger: Frauen. Nach einigen Jahren frenetischer Arbeit kommen dann Ehe und Kinder. Viele bleiben auf Dauer zu Hause oder landen in der Teilzeit-Falle. "Wer ein Gleichziehen der Frauen mit den Männern vermutet, der kann die Daten nicht richtig lesen", befindet der Soziologe Hans-Peter Blossfeld.

Dass Frauen und Männer nicht gleichziehen, hat verschiedene Ursachen. Da ist die Neigung der Männer, Kinder und Hausarbeit zwar in Umfragen mit der Gattin aufzuteilen, aber nicht im Alltag. Die Neigung der Firmen, Frauen die Flexibilität zu verweigern, ohne die sich Kinder nicht mit beruflicher Entfaltung verbinden lassen. Ganz klar zählt zu den Ursachen: Die Neigung der Politik, Gesetze an der Generation der 1920 Geborenen auszurichten, die gar keinen Beruf lernten.

Kinderbetreuung bereitzustellen, damit Frauen arbeiten können, ist eine Idee, die sich in Deutschland frühestens eine Dekade nach europäischen Nachbarn entwickelte. Und wenn die Mutter wieder arbeiten geht, fällt sowohl die kostenlose Mitversicherung in der Krankenkasse weg wie der Großteil des Steuervorteils beim Ehegattensplitting. Fazit: Von ihrem Gehalt fallen zwei Drittel als Steuern und Abgaben weg - so viel wie in keinem anderen Industriestaat außer Belgien.

Die Politik ist es den modernen Frauen schuldig, ihre berufliche Entfaltung zu fördern, statt sie weiter zu blockieren. Sie würde damit das Wachstum fördern, ihre Steuereinnahmen erhöhen und die Rentenkasse stärken. Teilzeitler, die mehr arbeiten wollen, wünschen sich im Durchschnitt 15 Wochenstunden mehr - das gibt einen Eindruck des Potenzials, das brachliegt. Profitieren könnten auch Unternehmen, die sich moderner verhalten: Nach manchen Studien freuen sich familienfreundliche Firmen über eine 50 Prozent geringere Krankheitsquote.

Eine Politik, die Frauen/Eltern hilft, müsste ganz anders aussehen. Dazu gehören mehr Kitaplätze, auch wenn sich in den vergangenen Jahren einiges getan hat. Dazu gehört Nahles' Plan des Rückkehrrechts zur Vollzeit. Und dazu gehört eine Familienarbeitszeit: Eltern für ein paar Jahre 28 oder 32 Stunden Arbeitszeit zu ermöglichen - und finanzielle Einbußen durch einen Zuschuss abzufedern.

Es wird behauptet, die großen Parteien hätten sich schon so angenähert, dass es letztlich egal sei, wo der Wähler sein Kreuzchen mache. Das ist bei diesem Thema krachend falsch.

Die SPD attackiert nicht nur das überkommene Ehegattensplitting. Sie setzt sich zum Beispiel auch für die Familienarbeitszeit ein. Und läuft damit bei der CDU/CSU regelmäßig auf. Wenn die Union weiter das Sagen behält, wird es bei den besorgten Blicken männlicher Bekannter bleiben und bei der Nachfrage: "Aber nur Teilzeit, oder?"

Ja, leider nur Teilzeit.

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