Kommentar:Prinzip Verantwortung

Siemens-Chef Joe Kaeser hat Empathie mit den Mitarbeitern vermissen lassen, ebenso wie der Vorstand der Deutschen Bank, der nicht auf hohe Bonuszahlungen verzichten will. Das zeigt, mit der Verantwortung liegt einiges im Argen in Deutschland.

Von Harald Freiberger

Das klingt jetzt doch schon deutlich besser bei Siemens-Chef Joe Kaeser, der auf dem besten Weg war, zum Standortschreck zu werden. Er hat die Mitarbeiter der Kraftwerkssparte in Görlitz, die geschlossen werden soll, inzwischen besucht und ihnen zugesichert, sie nicht alleinzulassen. Er hat angekündigt, zusammen mit der Politik ein Zukunftskonzept für die Oberlausitz zu erarbeiten, bei dem Siemens helfen könne, Mitarbeiter zu qualifizieren und neue Technologien anzusiedeln. Damit dürfen die Menschen in der Region wieder hoffen.

Das ist ein entscheidender Unterschied zu der Situation vor einigen Wochen, als Siemens die drastischen Einschnitte mit kühler Rhetorik ankündigte, wenige Tage nachdem der Konzern einen Rekordgewinn für das abgelaufene Geschäftsjahr bekannt gegeben hatte. Empörend war auch, dass die Entscheidung in der Vorweihnachtszeit verkündet wurde, dass Kaeser es nicht selbst tat, dass er sich nicht zeigte, und dass er verständnislos auf die Aufregung reagierte.

Es ist das Recht eines Konzerns, unrentable Sparten zu schließen. Die Frage ist, wie das geschieht

Das Signal, das davon ausging: dass sich da ein Konzernlenker aus der gesellschaftlichen Verantwortung stiehlt. Siemens hat mit seinen Kraftwerken in der Region über Jahre gut verdient, dank der Mitarbeiter, dank der Politiker, die Rahmenbedingungen schufen, auch dank staatlicher Subventionen, die es in Ostdeutschland gab. Jetzt aber, wo es nicht mehr funktioniert, kippt man der Gesellschaft die Trümmer vor die Füße und macht sich aus dem Staub.

Das andere Beispiel, das in diesen Tagen die Wellen der Empörung hochschlagen lässt, ist die Deutsche Bank: Sie macht seit drei Jahren keinen Gewinn mehr, der Verlust für 2017, am Freitag verkündet, fällt noch höher aus als erwartet. Doch die Chefs sehen keinen Anlass, auf die Boni für die wichtigsten Mitarbeiter und für sich selbst zu verzichten. Im Fall der Mitarbeiter mag das noch zu erklären sein - vielleicht besteht ja wirklich die Gefahr, dass sie abwandern. Aber bei den Vorständen selbst? Ein Bonus ist eine Anerkennung für gute Arbeit. Solange das Unternehmen Verlust macht, ist die Arbeit nicht abgeschlossen. Ein Verzicht auf die Boni wäre auch ein Signal der Chefs an die gesamte Belegschaft gewesen, dass sie beim Verzicht vorangehen. Bei der Deutschen Bank ist gerade ein Stellenabbau in großem Stil im Gange. Andere Beschäftigte, die ihren Job verlieren, verzichten auf noch viel mehr.

Die Beispiele zeigen, dass mit der Verantwortung einiges im Argen liegt in der deutschen Wirtschaft - mit der Verantwortung für die eigenen Mitarbeiter, für das eigene Unternehmen, für die gesamte Gesellschaft.

Zurück zum Beispiel Siemens: Natürlich ist es das Recht eines Konzerns, eine unrentable Sparte zu schließen, es ist sogar seine Pflicht. Die Alternative wäre eine Subventionierung durch noch rentable Sparten, was auf Dauer das gesamte Unternehmen gefährdet. Ein verantwortungsvoller Manager muss da eingreifen. Die entscheidende Frage aber ist, wie er das macht. Kaeser hat Empathie mit den Mitarbeitern und Verantwortung für die Gesellschaft vermissen lassen.

Wie wäre es gewesen, vorher hinzufahren und die offenbar unabänderliche Entscheidung rational zu begründen, die Beschäftigten aber gleichzeitig emotional mitzunehmen? Etwa indem er sagt, dass die Ursachen für die Probleme in der Energiewende und dem gesellschaftlich gewollten Ausstieg aus der Atomenergie liegen. Dass die Mitarbeiter nichts dafür können, dass sie im Gegenteil über Jahrzehnte hervorragende Arbeit geleistet haben. Dass es jetzt aber nicht mehr weitergeht und man alles tun werde, um den Mitarbeitern beim Übergang zu helfen.

Diese Aussagen kommen jetzt einige Wochen später, aber es ist noch nicht zu spät. Der Fall Görlitz hat auch deshalb für solches Aufsehen gesorgt, weil er die Ängste vieler Menschen in Deutschland weckt. Die Wirtschaft steckt mitten in einer digitalen Revolution, die traditionelle Geschäftsmodelle, Fabriken und Arbeitsplätze gefährdet. Es könnten in den nächsten Jahren noch einige solcher Ankündigungen folgen, und wenn das überall so abläuft wie anfangs bei Siemens, dann gute Nacht.

Kaeser hat offensichtlich einen Lernprozess in Sachen gesellschaftlicher Verantwortung durchlaufen, und wenn er es ernst meint mit seiner neuen Empathie, kann er dem Standort Deutschland noch wichtige Dienste leisten. Er weiß jetzt, wie man es nicht macht. Die Chefs der Deutschen Bank dagegen müssen erst noch lernen einzuschätzen, wie die eigenen Entscheidungen bei den anderen ankommen.

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