Kommentar:Ohne Fahrplan

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Die Bundesregierung lässt die Bahn allein. So dumm, den Vorstand einfach werkeln zu lassen, wäre kein privater Investor. Jetzt muss der Staat endlich Ziele vorgeben.

Von Karl-Heinz Büschemann

Wie es dem Bahnchef Rüdiger Grube gelingt, immer gute Laune auszustrahlen, ist ein großes Rätsel. Wo immer der Manager sein Gesicht zeigt, vermittelt er Zuversicht, Begeisterung und die Sicherheit, dass es mit der Bahn bald wieder aufwärts gehen werde. Bei der Vorlage der Bilanz für das erste Halbjahr von 2016 vor wenigen Tagen feierte er kaum wahrnehmbare Verbesserungen bei dem größten Staatskonzern schon als großartige Erfolge. "Wir sind zuversichtlich, dass wir unsere Ziele für 2016 erreichen werden", verspricht Grube. Das wird nur gehen, wenn er seine Ziele niedrig genug ansetzt.

Grube hat einen der schwierigsten Chefposten in der deutschen Wirtschaft und er ist umringt von zahllosen Kritikern. Jeden Tag bekommt er zwischen 1000 und 3000 Zuschriften von meist unzufriedenen Bahnkunden. In Berlin reden ihm die Politiker nach Belieben ins Geschäft, einige sitzen sogar im Bahn-Aufsichtsrat. Jeder Dorfbürgermeister möchte mitentscheiden, an welchem Bahnhof der ICE anhalten sollte, und im eigenen Hause hat Grube jede Menge Gegner. Im Vorstand ging es in den zurückliegenden Monaten zu wie im Boxring.

Die Bahn ist der traurige Beleg, dass Deutschland noch immer eine Auto-Republik ist

Die Bahn ist kaum zu führen. Sie ist groß und kompliziert, muss aber flexibel agieren. Sie gehört zu 100 Prozent dem Staat, soll jedoch handeln wie ein Wirtschaftsunternehmen. Gleichzeitig drückt sich der Bund als Eigentümer an der Aufgabe vorbei, zu erklären, welchen Auftrag die Schiene in der Verkehrspolitik hat. Der Staat lässt die Bahn allein. Das ist so absurd, als würde sich die Großaktionärsfamilie Quandt, der etwa die Hälfte von BMW gehört, aus der Strategie des Autokonzerns heraushalten. So dumm, den Vorstand einfach werkeln zu lassen, wäre kein privater Investor. Die Bundesregierung lässt zu, dass die Bahn ohne Fahrplan und Kompass unterwegs ist.

Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte am Ende der Neunzigerjahre noch gehofft, das Problem der Bahn dadurch lösen zu können, dass er den maroden Staatsbetrieb an die Börse bringt. Der Versuch schlug fehl. Es war ein Fehler, wie sich zeigte und wie auch Rüdiger Grube zugibt. Grubes Vorgänger Hartmut Mehdorn hatte eisern für die Börse gespart. Die Folge: Investitionen von 30 Milliarden Euro sind unterblieben. Das macht sich heute schmerzlich bemerkbar.

Wie soll es weitergehen? Welche Rolle soll die Bahn im Verhältnis zum Pkw, zum Fernbus, zum Lastwagen, zum Binnenschiff spielen? Darauf hat die Bundesregierung keine Antwort. In der Verkehrspolitik der Bundesregierung nimmt die Bahn nur eine untergeordnete Rolle ein. Das gilt nicht nur für Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der sich vor allem für den Ausbau der Straßen und die Internet-Versorgung starkmacht, aber für die Bahn nur wenig tut. Keine Partei im Berliner Betrieb, mit Ausnahme der Grünen, setzt sich für den Verkehrsträger Schiene ein. Das ist blamabel für eine moderne Industrienation, die einen Mix aller Verkehrsträger braucht.

Die beiden Koalitionsparteien kümmern sich um die Bahn nur, wenn sie mal wieder in Schwierigkeiten steckt. Aber der Betrieb wird nicht als Teil der Lösung beim Erreichen von Klimazielen verstanden. Das ist der größte Skandal beim Problem Bahn. Die Bundesregierung ist zufrieden, wenn ihr das Unternehmen keinen Ärger macht, wenn es keine Debatten um Großprojekte wie Stuttgart 21 oder über Verspätungen gibt. Der Rest scheint in Berlin egal zu sein. Die Bahn ist trauriger Beleg dafür, dass Deutschland eine Auto-Republik ist, in der die Rolle der Bahn nicht wächst, sondern abnimmt. In Deutschland geht der Marktanteil des Güterverkehrs auf der Schiene zurück, obwohl die Autobahnen mit Lastern verstopft sind. Das ist schwer zu verstehen.

Die Bundesregierung muss verkehrspolitische Ziele vorgeben. Das ist ihre Aufgabe, vor der sie sich bisher drückt. Zur politischen Führung der Bahn kann auch gehören, den Vorstand von Auslandsinvestitionen abzubringen. Diese blähen zwar den Umsatz auf, aber den Zustand der Schiene zu Hause verbessern sie nicht.

Die Bahn braucht ein neues Zeichen zum Aufbruch. Sie muss wissen, welche Aufgabe sie in der Verkehrspolitik des Landes hat. Es reicht nicht, wenn die Bundeskanzlerin alle paar Jahre einen neuen Bahnchef einsetzt, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, möglichst wenig Schlagzeilen zu machen. Der Bahnchef sollte sogar jede Menge Aufmerksamkeit schaffen. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass es in diesem Land eine Verkehrspolitik gibt, die diesen Namen verdient. Das dient nicht nur der Bahn, sondern dem ganzen Industriestandort.

© SZ vom 02.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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