Kommentar:Objekt der Begierde

Im Fall einer großen Koalition will SPD-Chef Martin Schulz das Finanzministerium für seine Partei reklamieren. Aber der Zugriff auf dieses Haus bringt nicht nur Vorteile. Und Schulz hätte Hürden zu überwinden - auch in der eigenen Partei.

Von Cerstin Gammelin

Nach dem Getänzel in den Sondierungen für ein schwarz-gelb-grünes Regierungsbündnis entwickelt sich das Bundesfinanzministerium bei den Vorbereitungen für eine schwarz-rote Koalition erneut zum Objekt der Begierde. Der Einzug in das Ministerium sei das Ziel, hat SPD-Parteichef Martin Schulz die Marschrichtung vorgegeben. So verständlich der Reflex ist, schließlich hat der Bundesfinanzminister aus der CDU in den vergangenen Jahren nicht nur große Macht gehabt, sondern viel Anerkennung eingeheimst, so deutlich muss gewarnt werden: Eine Garantie für politischen Erfolg gibt es in diesem Amt nicht.

Unbestreitbar ist, dass das Bundesfinanzministerium allein wegen seiner Stellung im Grundgesetz als kleines Kanzleramt gelten darf. Der Minister kann als einziger Ressortchef im Kabinett sein Veto gegen alle ausgabenrelevanten Beschlüsse einlegen. Fördertöpfe für die Energiewende? Prämien für Elektroautos? Rentenzuschüsse? Der Minister muss nicken, damit politische Beschlüsse mit Leben erfüllt werden können. Das kann das Regieren einfacher machen - aber auch schwerer, je nachdem, wer im Chefsessel des Kanzleramts sitzt.

SPD-Chef Schulz steht der ambitionierte Vorgänger Sigmar Gabriel im Weg

Für das Regieren und den Koalitionsfrieden ist es besonders zuträglich, wenn Kanzleramt und Finanzministerium in den Händen einer Partei liegen. Erstens, weil sich Kanzlerin und Minister schon aus parteipolitischen Gründen heraus oft einig sind und damit politische Vorhaben zügig voranbringen können. Und zweitens, weil - falls das doch mal nicht der Fall sein sollte - die Kanzlerin bei einem Veto des Finanzministers nicht gleich den Bruch der Koalition riskiert, sollte sie ihn entlassen müssen.

Sind Kanzleramt und Bundesfinanzministerium dagegen mit Politikern aus zwei Parteien besetzt, drohen Stillstand und Blockade. Wer kann sich vorstellen, dass ein künftiger SPD-Finanzminister vom Kaliber eines Sigmar Gabriel oder eines Martin Schulz sich ernsthaft einer CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel unterordnen würde, wenn es bei europapolitischen Streitigkeiten zur Zerreißprobe käme? Oder, andersherum gefragt: Würde Merkel Gabriel oder Schulz entlassen und damit das Ende der Koalition in Kauf nehmen? Wohl eher erst einmal nicht.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es nützlich sein kann, wenn Kanzleramt und Finanzministerium von zwei Parteien geführt werden - nämlich in Krisen. Als 2009 die Banken mit Milliarden an Steuergeld gerettet werden mussten und die Ersparnisse (nicht nur) der Bundesbürger auf der Kippe standen, gaben Merkel und ihr damaliger SPD-Minister Peer Steinbrück gemeinsam eine Garantie für die Sparguthaben ab. Die CDU-Chefin holte ihre Wähler ab, der Sozialdemokrat die Seinigen - mit dem Resultat, dass es jener noch großen Großen Koalition gelang, die Bürger vom Stürmen der Banken abzuhalten. SPD und Union kamen auf knapp 70 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Drei Legislaturperioden später vereinigen SPD und Union nur noch 53 Prozent der Stimmen. Wenn Schulz jetzt das Bundesfinanzministerium fordert, wird er zuallerletzt an gemeinsames Krisenmanagement mit Merkel denken, sondern vielmehr an die innen- und europapolitische Profilierung der Sozialdemokratie. Konjunkturdaten, Rohstoffpreise und Niedrigzinsen versprechen ein Umfeld, in dem auch in den nächsten vier Jahren die Wirtschaft florieren und die Steuereinnahmen steigen werden. Das macht Investitionen und finanzielle Entlastungen möglich. Zugleich könnte die SPD als Hüterin der Schwarzen Null dastehen. Und als Reformerin Europas.

Um so weit zu kommen, muss Schulz zwei Hürden nehmen. Die erste ist verhandlungstechnisch-formal. Die Sozialdemokraten müssen bei etwaigen Koalitionsverhandlungen darauf achten, dass die jetzigen Aufgaben und Kompetenzen im Bundesfinanzministerium verbleiben. Es ist nicht nur ein Haus mit Veto-Recht für Haushaltszahlen. Weil es auch zuständig ist für Steuern, den Euro, für die Wirtschafts- und Währungsunion und den Zoll, bietet es Spielräume für konkrete politische Vorhaben.

Die größere Hürde ist für Schulz die innerparteiliche. Merkel und der Union ist es nahezu unmöglich zu verhindern, dass die SPD das Finanzministerium greift. Schließlich darf der Koalitionspartner nach dem Kanzleramt das erste Ministerium wählen. Fraglich ist nur, ob Schulz das innerparteilich durchsetzen kann - gegen den amtierenden und ambitionierten Außenminister Gabriel. Will Gabriel im Außenamt bleiben, hat Schulz zwei Möglichkeiten. Er kann sich über Gabriel hinwegsetzen - oder seinem Vorgänger das Finanzministerium antragen.

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