Kommentar:Mehr Respekt, bitte!

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Die Ostdeutschen haben viel Mut und Einsatz gezeigt. Aber Anerkennung bekommen sie dafür kaum. Schade - übrigens auch für Westdeutsche.

Von Varinia Bernau

Ossis? Alles Jammerlappen. Und die Wessis? Arrogante Schwätzer! Wer sich an west- wie ostdeutschen Stammtischen umhört, der kann daran zweifeln, ob dieses Land 25 Jahre nach der Deutschen Einheit wirklich ein Land ist. Es gibt gute Gründe für die tiefsitzenden Vorurteile. Bei den Westdeutschen ist es zumeist Ignoranz, bei den Ostdeutschen Verbitterung. Die einen haben sich selten die Mühe gemacht, den anderen Teil ihres Landes zu verstehen oder überhaupt nur kennenzulernen. Die anderen sind mit großen Erwartungen aufgebrochen - und wurden herbe enttäuscht. Vermutlich braucht es deshalb viel Zeit und noch mehr Kraft, um diese Ressentiments auszuräumen.

Die Ostdeutschen mussten neu beginnen, die Westdeutschen machten weiter wie bisher

Der wirtschaftliche Umbruch, den die Wiedervereinigung mit sich brachte, war enorm - und er musste in kürzester Zeit bewältigt werden. Lebensentwürfe wurden über Nacht weggefegt. Zeit, neue Pläne zu schmieden, blieb nicht. Die Ostdeutschen waren auf einmal Teil eines Systems, das zwar die meisten gewählt hatten, dessen Regeln aber nur die wenigsten kannten. Es war ein System, in dem es um Leistung ging, so wurde es ihnen weisgemacht. Ein System, in dem es kein Platz mehr gab für Solidarität, so haben sie es empfunden.

Im Alltag der meisten Westdeutschen hingegen änderte sich nur die Wetterkarte bei der Tagesschau. Sie konnten weiter machen wie bisher - im kleinen wie im großen: Für etablierte Unternehmen im Westen war die Wiedervereinigung auch ein staatlich subventioniertes Konjunkturprogramm. Statt neue Produkte entwickeln zu müssen, konnten sie mit dem alten Kram die Kundschaft in Neufünfland beglücken. Statt sich den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen, schnappten sie sich ostdeutsche Betriebe nebst Fördergeldern. Etwas daraus gemacht haben sie viel zu selten. Das böse Erwachen kam mit einiger Verzögerung.

Viele Ostdeutsche mussten den Neuanfang in einem Alter wagen, in dem sie nicht nur für sich, sondern auch für eine Familie Verantwortung trugen. Das erfordert Mut. Viel mehr übrigens, als junge Gründer mit BWL-Diplom und staatlichem Zuschuss heute aufbringen müssen. Und selbst deren Zahl sinkt, weil sich der Deutsche, ob im Osten oder im Westen, nun einmal nach Sicherheit sehnt.

Millionen Ostdeutsche wanderten gen Westen. Und sie tun es noch. Dorthin also, wo es Arbeit gibt. Für sie ist Flexibilität nicht nur eine Floskel in der Stellenausschreibung - sondern eine Selbstverständlichkeit. Ostdeutsche, die im Westen Wurzeln geschlagen haben, sorgen heute dafür, dass die dortige Wirtschaft brummt. Und sie müssen sich trotzdem immer wieder das alte Lied von der lahmen ostdeutschen Wirtschaft anhören. Sie müssen sich dafür rechtfertigen, dass der Solidaritätszuschlag noch immer in den inzwischen doch längst aufpolierten Osten fließt statt in den deutlich maroderen Ruhrpott. Und selten hört ihnen noch jemand zu, wenn sie erklären wollen, dass sie selbst nicht glücklich mit diesem Soli sind, weil hinter den schön sanierten Fassaden von Görlitz nur noch ihre Eltern leben, die Enkel aber 500 Kilometer weiter westlich aufwachsen.

Im Osten der Republik ist die Arbeitslosigkeit noch immer höher, die Produktivität noch immer geringer als im Westen. Na, und? Was sagen sie schon aus, all die nun zum 25. Jubiläum der Wiedervereinigung vorgelegten Statistiken? Mal wieder rüber fahren auf die andere Seite. Miteinander ins Gespräch kommen statt nur übereinander zu reden, das würde für die Wiedervereinigung eine ganze Menge mehr bringen.

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