Kommentar:Mehr Euphorie, bitte

In Neuseeland wurde gerade die Transpazifische Partnerschaft TPP unterschrieben. Das setzt auch Europa unter Druck.

Von Alexander Hagelüken

Handelspolitiker sind selten charismatisch. Als die Minister von zwölf Staaten jetzt im neuseeländischen Auckland die Transpazifische Partnerschaft TPP unterschrieben, lächelten sie steif in die Kameras. Die Aktivisten auf der Straße machten mit ihren weißen Occupy-Masken und Maori-Tänzen deutlich mehr her. Die Minister drinnen im Saal dagegen sahen so dröge aus, wie man vermutlich wird, wenn man in fünfjähriger Detailhuberei 18 000 Hindernisse für den Handel aus dem Weg räumt.

Die Symbolkraft von TPP liegt nicht in der Show, sondern in der Substanz. Der Vertrag verbindet Nationen auf vier Kontinenten, die Vereinigten Staaten ebenso wie Mexiko, Peru, Australien und Japan. Die 18 000 Hindernisse fallen für einen Staatenbund, der 40 Prozent der globalen Produktion erzeugt. Da kann man sich leicht ausmalen, welche ökonomischen Impulse die Unterschriften von Auckland auslösen. Und man mag sich etwas wundern, dass die Minister ihre Euphorie im Saal nicht rüberbringen.

Ganz klar: Der Handelsvertrag wird seine Wirkung entfalten, falls er in den kommenden zwei Jahren die politischen Hürden in allen Staaten passiert. TPP sendet auch eine Botschaft an Europa. Das Abkommen setzt all jene unter Druck, denen so ein Bündnis fehlt. Die EU verhandelt seit drei Jahren mit den Vereinigten Staaten über das TTIP-Abkommen. Inzwischen schätzen zahlreiche Beobachter die Chancen für einen Deal nur noch auf 50 zu 50. Falls die Gespräche scheitern, hat Europa viel verloren.

Da sind zum einen die ökonomischen Gewinne, die eine Verflechtung mit der Wirtschaftsmacht USA verspricht. Ohne TTIP werden sich die Vereinigten Staaten noch stärker dem pazifischen Raum zuwenden, vor allem Asien; Europas Firmen dürften sowohl weniger Nachfrage spüren als auch feststellen, dass Geschäfte im transpazifischen Verbund Erleichterungen genießen, die ihnen fehlen. Für Präsident Barack Obama hatte das pazifische Abkommen von Anfang an Priorität gegenüber dem europäischen, da Asien Old Europe ökonomisch überflügelt.

Ohne TTIP verpasst die EU außerdem die Gelegenheit, die technischen und wirtschaftlichen Regeln mitzuformulieren, die das 21. Jahrhundert prägen werden. Obama hat präzise erklärt, was einen Staat wie seinen in einer globalisierten Welt umtreibt: 95 Prozent der potenziellen Kunden befinden sich außerhalb der Landesgrenzen. Deshalb will es Obama keiner Diktatur mit undurchsichtigen Motiven wie China überlassen, die Regeln für internationale Geschäfte zu schreiben. "Wir sollten sie selbst schreiben", sagt er.

Durch das Pazifikabkommen fängt Obama damit an. Die Europäische Union kann der zentrale Co-Autor werden. Es gehört wenig Fantasie zu der Vorstellung, dass sich die Europäer mit den Amerikanern leichter auf ihnen genehme Regeln einigen können als mit den Chinesen. Doch dazu müssen sie eben bereit sein, die Hürden für TTIP zu überwinden.

Scheitert TTIP, verliert Europa viel Geld und Einfluss

Europas Verhandlungslinie ist vernünftig: Ja, es wird - wie bei jedem Deal - Kompromisse geben müssen. Doch diese dürfen nicht Grundsätzliches wie den Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutz aushebeln, der den Europäern wichtig ist. Mit dieser Linie sollte es gelingen, die 28 EU-Mitglieder hinter einem Abkommen zu versammeln, das den Wohlstand steigern wird wie zahllose Freihandelsdeals zuvor. Zuletzt zeigte das ein Vertrag mit Südkorea, der die Exporte dorthin seit 2011 um ein sattes Drittel steigen ließ.

Ob TTIP in Europa durchkommt, ist trotzdem unsicher. Das liegt am Erfolg populistischer Parteien, die entweder an Boden gewinnen wie in Frankreich, Spanien und Finnland oder gleich die Regierung übernehmen wie in Polen, Ungarn und Griechenland. Der Populismus paart sich oft mit Nationalismus, der Stimmung gegen ausländische Firmen schürt und die Abschottung nach außen propagiert. Noch polemisiert keine der erwähnten Regierungen offen gegen TTIP; im Fall Polens und Ungarns gibt es zudem eine amerikafreundliche Tradition. Doch bei einem Vertrag, der in 28 nationalen Parlamenten und dem EU-Parlament bestehen muss, kann noch einiges passieren.

Das gilt umso mehr, als ausgerechnet in der Exportnation Deutschland weite Teile der Öffentlichkeit einer geschickten Kampagne gegen TTIP erlegen sind, deren Auswirkung noch nicht abzusehen ist. Ja, die Kritiker hatten mit manchen Bedenken recht. Beim Investorenschutz etwa zeichnet sich auch wegen ihres Insistierens eine demokratischere Lösung ab. Doch das pauschale, von zahlreichen Mythen befeuerte Nein! gegen TTIP ist falsch. Setzt sich das Nein am Ende durch, wird die Rechnung für Europa hoch.

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