Kommentar:Locker bleiben

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Die Europäische Zentralbank muss ihre Geldpolitik beibehalten. Der Ärger der deutschen Sparer ist der Preis, den Deutschland für die Euro-Mitgliedschaft zahlen muss.

Von Cerstin Gammelin

Haben sie aufgegeben, die Verteidiger der deutschen Sparer: die Schäubles, Söders, Fahrenschons? An diesem Donnerstag wird Mario Draghi absehbar ein weiteres Mal den sehr weiten Weg bis zur erhofften Zinswende beschwören. Und das trotz steigender Inflation. Dennoch ist keine gewichtige Stimme zu hören, die den Präsidenten der Europäischen Zentralbank auffordert, die Interessen der Bundesbürger stärker zu beachten und zügig aus der Niedrigzinspolitik auszusteigen. Es ist eine Ruhe, die nach dem Gezeter der letzten Monate umso lauter wirkt. Haben die deutschen Granden der Geldpolitik resigniert?

Mitnichten! Was sich abzeichnet, ist eine Trendwende. Den lauten Kritikern wächst endlich die Erkenntnis, dass es auf Dauer nichts bringt, falsche Erwartungen zu wecken. Politiker, die eine Wahl gewinnen wollen, müssen Forderungen aufstellen, die dem Bürger erfüllbar erscheinen. Der Anspruch an die Notenbank der Währungsunion, ihre Geldpolitik am deutschen Sparer auszurichten, gehört nicht dazu. Schlicht deshalb, weil sie politisch unabhängig ist. Lenkte Draghi auf das deutsche Drängen ein, würden andere Staaten protestieren. Und das zu Recht. Es wäre das Ende der Währungsunion.

Die Zeit, die Zinsen zu erhöhen, ist noch nicht gekommen

Wahlkämpfer, die gewinnen wollen, sind also gut beraten, Dinge zu versprechen, die sie beeinflussen können. Sogar das Ende Griechenlands in der Euro-Zone erscheint da realistischer als die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Ruhe bringt auch eine andere Wende. Die Euro-Zone hat ihren Status als wirtschaftlicher Pflegefall überwunden. Die Wirtschaft wächst, es sind mehr als vier Millionen neue Arbeitsplätze entstanden, es wird investiert, es steigen die Löhne. Der lang erwartete Aufschwung ist da. Was allerdings nicht heißt, dass alles zum Besten steht. Die Arbeitslosenquote liegt noch immer bei knapp unter zehn Prozent, sie wird spürbar erst fallen, wenn der Aufschwung überall anhält. Die frohe Botschaft enthält deshalb auch eine bittere Note, jedenfalls aus Sicht von Kleinanlegern: Die lockere Geldpolitik muss noch eine Weile fortgesetzt werden. Bis sich die Währungsunion endgültig stabilisiert hat. Die Zeit, die Zinsen zu erhöhen, ist noch nicht gekommen.

Dass diese Nachricht in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung keine Freude auslöst, ist verständlich. Die Sorge, die sich aus den niedrigen Zinsen, kombiniert mit kletternder Inflation ergibt, ist real. Beliebte Sparmodelle werfen kaum noch Erträge ab, die Inflation frisst die kläglichen Reste beinahe auf. Wäre die Europäische Zentralbank eine Notenbank nur für Deutschland, bestünde kein Zweifel an dem, was die Währungshüter tun müssten: Zinsen erhöhen.

Nur, so ist es eben nicht. Deutschland hat einen Vertrag unterzeichnet, der es zum Mitglied der Euro-Währungsunion macht. Damit verbunden sind Verpflichtungen. Etwa die, zu akzeptieren, dass eine unabhängige Notenbank geldpolitisch für alle Euro-Staaten gleichermaßen zuständig ist. Die Europäische Zentralbank muss Kompromisse zwischen den Bedürfnissen der Staaten finden, sie kann nicht den Forderungen eines Landes folgen, auch wenn es das volkswirtschaftlich stärkste ist. Der Ärger der deutschen Sparer ist ein Preis, den Deutschland für die Mitgliedschaft in der Währungsunion zahlen muss.

Und, um es klar zu sagen: Niedrige Zinsen und steigende Inflation sind kein deutsches Problem. Alle Euro-Staaten haben ihren Preis zu zahlen. In Italien etwa sind die Zinsen noch stärker gesunken, müssen die Bürger mehr als hierzulande verschmerzen, dass ihre Altersvorsorge schmilzt. Oder: In Belgien und Spanien stieg die Inflation in den letzten Monaten stärker an als in Deutschland, ohne dass lautstarke Proteste zu hören waren.

Zu den größten Fehlleistungen deutscher (und anderer) Politiker gehört es, dass sie die Euro-Politik oft eindimensional erklären, ausgerichtet für eine bestimmte Klientel. Sie reden entweder über die Nachteile niedriger Zinsen für Sparbücher oder deren Vorteile für Immobilienkredite. Gleiches gilt für Exportüberschüsse, Arbeitslosigkeit, Investitionen oder Austerität. Sie polarisieren damit, statt zu einen.

Dieser Effekt wird jetzt, in Zeiten von Brexit und Trump, besonders deutlich. Umso mehr, als die Europäische Zentralbank etwas tut, was nicht dem gegenwärtigen Zeitgeist entspricht - sie bündelt die Interessen einer Gemeinschaft von Ländern. Die Angriffe auf die Notenbank zeigen auch, wie schwer diese Aufgabe angesichts des weltweiten Rückzugs ins Nationale geworden ist. Wer jetzt schweigt, stabilisiert die Gemeinschaft. Und den Euro.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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