Kommentar:Lob und Preis

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Endlich ist die EU-Kommission auch mal zu loben: Sie schafft jetzt die Roaming-Gebühren endgültig ab. Das werden die Konsumenten positiv spüren. Und es zeigt: "Die in Brüssel" schützen ihre Bürger auch gegen die Interessen mächtiger Konzerne.

Von Alexander Mühlauer

Kaum etwas ist im öffentlichen Diskurs so billig zu haben wie Kritik an der Bürokratie. Also jener "kurzsichtigen und engherzigen Beamtenwirtschaft, welcher das Verständnis für die praktischen Bedürfnisse des Volkes gebricht", wie Meyers Konversationslexikon im Jahr 1894 notierte. Die ablehnende Haltung gegenüber den Verwaltungsapparten hat sich seither fast nicht verändert. Wenn heute von Bürokratie die Rede ist, fällt meist früher als später das Wort "Brüssel". Doch nun haben ausgerechnet Brüsseler Bürokraten etwas erreicht, was man ihnen nicht mehr zugetraut hatte: Sie haben die Roaming-Gebühren in der EU so gut wie abgeschafft. Telefonieren und Surfen im europäischen Ausland ist damit so günstig wie daheim.

Die EU schützt ihre Bürger gegen die Interessen mächtiger Konzerne

Auch wenn es zehn Jahre gedauert hat, kann man "denen in Brüssel" dafür sehr dankbar sein. Endlich zeigen sie den Bürgern mal wieder, warum sie im Alltag von dieser EU profitieren können. Ja, dieses Brüssel hat eben auch sein Gutes. Es gibt eine Reihe von Annehmlichkeiten, die inzwischen so selbstverständlich geworden sind, dass sie einem kaum noch auffallen. Mit den Roaming-Gebühren wird das irgendwann nicht anders sein. Unter dem Strich hat der europäische Einigungsprozess den Alltag der Verbraucher zum Besseren verändert, ganz einfach deshalb, weil sie besser gegenüber Konzerninteressen geschützt werden.

Vor allem die EU-Kommission ist dafür zu loben, auch wenn sie an ihr Roaming-Versprechen erst wieder erinnert werden musste, nachdem sie es selbst gebrochen hatte. Jetzt hat die Behörde sich aber zusammen mit dem EU-Parlament durchgesetzt. Das ist bemerkenswert, denn so sehr die Kommission auch auf niedrigere Tarife und transparente Preise drang, so stark lobbyierten die Mobilfunkkonzerne stets dagegen. Sie setzten die Mitgliedstaaten unter Druck, denn jedes Land hat ein Interesse daran, dass die heimischen Unternehmen Arbeitsplätze erhalten. Dabei waren die Roaming-Gebühren für die Mobilfunkkonzerne vor allem ein Multimilliardengeschäft.

Das wird ihnen nun fehlen. Kein Wunder, dass die Deutsche Telekom darüber klagt, dass mit der Brüsseler Entscheidung "ein funktionierender Marktmechanismus ausgehebelt" werde. Schon wahr, in einer idealen Welt sollte der Verbraucherschutz möglichst wenig in die Unternehmenswelt eingreifen. Preise staatlich zu begrenzen, darf in einer Marktwirtschaft nur das letzte Mittel sein. Doch beim Roaming hat der Markt versagt.

Hinzu kommt: Ein Blick auf die Preisunterschiede in der EU zeigt, dass der Binnenmarkt nur in wenigen Wirtschaftszweigen so unvollkommen ist wie beim Mobilfunk. Es gibt kaum Wettbewerb. Es existieren nationale Märkte; und beim Roaming machen sich die Anbieter wenig Konkurrenz. Das brauchen sie auch nicht, denn kaum ein Kunde suchte sich bislang seinen Vertrag danach aus, wie viel er im Ausland zu bezahlen hat. Das machte es für die Firmen einfach, hohe und überhöhte Gebühren zu verlangen. Es war also nötig, Preisgrenzen festzulegen.

Ein "permanentes Roaming" über alle Grenzen hinweg wird es aber weiter nicht geben - zu unterschiedlich sind die Lebensverhältnisse in der Europäischen Union. Wer in Deutschland lebt, könnte ja theoretisch den Binnenmarkt nutzen und einen günstigeren Mobilfunkvertrag im Ausland abschließen. Doch die Arbeits- und Lebenshaltungskosten sind in Deutschland um ein Vielfaches höher als in anderen Staaten. Die Telekom muss für ihre Dienstleistungen einfach mehr verlangen als die Konkurrenz in baltischen oder osteuropäischen Staaten. Ihre Angestellten verdienen auch mehr.

Und sollten die Konzerne tatsächlich Missbrauch feststellen, dürfen sie höhere Gebühren berechnen. Die Frage ist nur: Was ist Missbrauch, wo fängt er an, und wer muss ihn beweisen? Mal ganz davon abgesehen, sind die Kontrollen ein Aufwand, der hoffentlich nicht an die Datenschutzgrundsätze rührt. Am Ende werden Gerichte darüber zu urteilen haben. Die Konzerne dürfen sich nicht als eine Art Roaming-Polizei aufspielen.

Bleibt ein Argument, das die Unternehmen stets für ihre hohen Zuschläge benutzten. Irgendjemand muss ja den unterentwickelten Ausbau des Mobilfunknetzes finanzieren, von dem wiederum alle Bürger profitieren. Das ist natürlich richtig. Und da es sich bei den Netzen um ein Gut handelt, das zur Grundversorgung in einer digitalisierten Gesellschaft gehört, muss der Staat die Investitionen der Privatwirtschaft stärker fördern.

Am 15. Juni aber, jenem Tag, an dem die Roaming-Gebühren fallen, dürfen die Bürger ihre EU-Bürokraten auch mal loben. Ausnahmsweise.

© SZ vom 02.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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