Kommentar:Lasst die Bürger entscheiden

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Der Freihandel ist in Verruf geraten. Der Alleingang der EU-Kommission bei TTIP und Ceta hat viele Mitgliedsländer und Bürger verärgert. Nun hat der europäische Gerichtshof ein wichtiges Grundsatzurteil gefällt.

Von Silvia Liebrich

Für die Kritiker umstrittener Freihandelsabkommen wie Ceta oder TTIP ist es ein wichtiger Etappensieg: Der Gerichtshof der EU hat am Dienstag entschieden, dass solche Verträge zumindest in Teilen die Zustimmung der EU-Mitgliedsländer brauchen. Dass dies nun im Fall eines eher unbedeutenden Abkommens mit Singapur entschieden wurde, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Denn das Gericht (EuGH) hat hier ein Grundsatzurteil gefällt, mit weitreichenden Folgen für künftige Freihandelsabkommen. Die klare Botschaft ist, dass Handelsprojekte dieser Art nicht mehr allein von der EU abgeschlossen werden dürfen.

Für Europa ist das eine wichtige und richtige Entscheidung. Viele Bürger fühlen sich bei zentralen Vorhaben von Brüssel allzu oft überrumpelt und bevormundet - dabei ist unwichtig, ob nun zu Recht oder Unrecht. Was die EU vor allem braucht, sind Europäer, die sich mit ihrer Gemeinschaft identifizieren, sonst werden sie sich von ihr über kurz oder lang abwenden. Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel Großbritannien.

Die Richter räumen den Staaten Mitspracherechte ein und stärken damit die Demokratie

So gesehen stärken die europäischen Richter auch die Demokratie, wenn sie den einzelnen Ländern mehr Mitspracherechte einräumen. Außerdem sorgen sie - zumindest indirekt - für mehr Transparenz. Künftige Freihandelsabkommen dürften nur dann eine Chance haben, wenn die EU-Verhandler ihre Ziele und Inhalte frühzeitig offenlegen und Einwände ernst nehmen. Geschieht das nicht, müssen sie mit massivem Widerstand rechnen, wie das Beispiel TTIP zeigt. Das transatlantische Handelsbündnis mit den Vereinigten Staaten galt in den vergangenen Jahren als eines der wichtigsten Prestigeprojekte der Europäischen Union.

Doch was als modernstes Abkommen der Neuzeit geplant war, hat sich für die EU-Kommission zu einem Desaster entwickelt. Aus heutiger Sicht deutet vieles darauf hin, dass TTIP vermutlich auch ohne Zutun des neuen US-Präsidenten Donald Trump gescheitert wäre - am wachsenden Widerstand der EU-Bürger. Kritiker sammelten Millionen Unterschriften gegen das Vorhaben, sie reichten Petitionen ein, klagten vor verschiedenen Gerichten. Vertreter von EU und den USA haben mehr als drei Jahre verhandelt, ohne dass Genaueres nach außen drang. Doch wo es an Informationen und Fakten mangelt, bleibt viel Raum für wilde Spekulationen und irrationale Ängste.

Nun gilt es, die richtigen Lehren zu ziehen. Eine Gemeinschaft, die gemeinsam Handel betreiben will, braucht klar definierte Spielregeln, auch nach außen. Wie wichtig das ist, wurde bereits am fertig ausgehandelten Ceta-Abkommen deutlich: Im Herbst wäre der Vertrag mit Kanada beinahe am Widerstand der kleinen belgischen Region Wallonien gescheitert. Kanadas Regierung reagierte irritiert auf die innereuropäischen Streitereien. Wer wie die EU als verlässlicher Handelspartner wahrgenommen werden will, kann sich solche Pannen nicht leisten.

Große Pläne gibt es schließlich genug: Als Antwort auf Trumps Protektionismus strebt die EU möglichst rasche und umfassende Freihandelsabkommen mit Japan, Mexiko und den südamerikanischen Mercosur-Staaten an. Zugleich will Großbritannien nach dem EU-Austritt ebenfalls ein möglichst weitreichendes Handelsabkommen mit der Union abschließen.

Ihr Erfolg wird letztendlich auch davon abhängen, ob es der EU gelingt, Mitgliedsländer und Bürger von diesen Vorhaben zu überzeugen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die nationalen Parlamente, die in der Vergangenheit viel zu wenig eingebunden waren. Zugang zu Informationen aus Brüssel mussten sich auch deutsche Parlamentarier bei TTIP oder Ceta erst mühsam erstreiten. Diesen Missstand hat nun auch der Gerichtshof mit seinem Urteil kritisiert.

Das Problem dabei: Ist ein Freihandelsvertrag erst einmal fertig ausgehandelt, lässt er sich kaum noch ändern. Sicher lassen sich in laufenden Verhandlungen nicht alle Punkte offenlegen, das verbietet sich schon allein aus strategischen Gründen. Umso wichtiger ist es, wichtige Eckpunkte bereits im Vorfeld zu klären. Schließlich ist es Aufgabe von Parlamenten, zu verhindern, dass Verbraucherrechte aufgeweicht oder Umweltschutzvorgaben ausgehebelt werden. Kritisch hinterfragen müssen sie auch, in welchem Rahmen Konzerne Schadenersatz zustehen kann, wenn eine Regierung zum Schutz ihrer Bürger etwa den Ausstieg aus der Atomenergie beschließt.

Das Ziel künftiger Abkommen muss ein fairer Freihandel sein, von dem alle profitieren, nicht allein die Wirtschaft. Mehr Transparenz und Mitspracherechte für nationale Parlamente sind dafür eine entscheidende Voraussetzung.

© SZ vom 17.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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