Kommentar:Komaglotzen statt Lagerfeuer

Streamingdienste wie Netflix werden immer erfolgreicher. Die herkömmlichen TV-Sender haben dem wenig entgegenzu­setzen. Warum nur?

Von Caspar Busse

Unaufhaltsam geht es nach oben: Die Aktie des amerikanischen Online-Videoanbieters Netflix steigt und steigt. Der Wert des Unternehmens nähert sich der Marke von 120 Milliarden Dollar, so viel wie traditionelle deutsche Industriekonzerne wie BASF oder Daimler erreichen. Was den Kurs von Netflix - eine Kombination aus den englischen Wörtern "Net" (Netz) und "Flicks" (umgangssprachlich für Filme) - antreibt, ist Fantasie und Hoffnung. Das Unternehmen aus Kalifornien, das vor 20 Jahren als Onlinevideothek gegründet wurde und heute schon Gewinn macht, könnte in der Tat irgendwann das herkömmliche Fernsehen verdrängen.

Bei jüngeren (und teilweise auch bei älteren) Zuschauern ist das heute schon der Fall. Deren Medienverhalten ändert sich ohnehin grundlegend, sie nutzen soziale Netzwerke, Nachrichten- und Foto-Apps, um in Kontakt zu bleiben. Sie hören nicht mehr Musik im Radio, sondern nutzen Musikdienste wie Spotify. Sie schauen kaum noch lineares Fernsehen, also die zu festen Zeiten ausgestrahlten Programme der herkömmlichen Sender, sondern nutzen Streamingangebote wie Netflix oder Plattformen wie Youtube. Das können sie tun, wo, wann und wie sie wollen - per Computer, Tablet, Smartphone oder Fernseher.

Die Fernsehsender regieren weitgehend hilflos und machen weiter wie bisher

Binge-Watching heißt das heute, also Komaglotzen vor allem von Serien, meistens aus US-amerikanischer Produktion, die irgendwie süchtig machen. Die Zeiten, als sich die Familien zum gemeinsamen Fernsehen vor dem Gerät im Wohnzimmer versammelten und sich daran wie an einem Lagerfeuer wärmten, sind endgültig vorbei. Große Fernsehereignisse gibt es kaum noch, abgesehen vielleicht vom "Tatort", von großen Sportverstaltungen wie wichtigen Fußballspielen oder den Olympischen Spielen, die in knapp zwei Wochen in Südkorea beginnen, und von einigen Shows.

Das hat große Auswirkungen auch auf die deutschen öffentlich-rechtlichen und privaten Sender. Die Zuschauer werden älter, Werbeeinnahmen gehen zurück. Pro Sieben Sat 1 beispielsweise hat bereits schwer zu kämpfen. ARD und ZDF sind in einer akuten Legitimationskrise.

Und was tun die Sender? Sie reagieren weitgehend hilflos und machen mehr oder weniger weiter wie bisher. Hier wird mal eine Serie produziert, dort gibt es das Angebot einer Mediathek. Aber aufnehmen können es ARD, ZDF, Pro Sieben, Sat 1, RTL und die anderen mit der neuen Streamingkonkurrenz in der derzeitigen Verfassung kaum. Angebote wie Maxdome, das der börsennotierte Fernsehanbieter Pro Sieben Sat 1 bereits früh gestartet hatte, oder Watchbox von RTL rangieren weiter hinter Netflix und Amazon Prime.

Alles verändert sich: Netflix kommt inzwischen schon auf nahezu 120 Millionen zahlende Kunden weltweit, die Zahl steigt weiter. Auch andere Anbieter wie Amazon Prime oder Hulu legen zu. Der Disney-Konzern will im kommenden Jahr selbst einen Streamingkanal starten und kauft gerade für mehr als 50 Milliarden Dollar große Teile des Hollywood-Konzerns 21st Century Fox inklusive wertvollen Filmrechten und Fernsehsendern, unter anderem der europäischen Bezahl-TV-Gruppe Sky. Disney könnte so bald zu einer ernsten Konkurrenz werden und eine neue Marktdominanz erreichen. AT & T will Time Warner mit dem Nachrichtensender CNN kaufen. Die US-Medienkonzerne Viacom und CBS prüfen einen Zusammenschluss. Dazu kommt, dass soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter immer mehr auf bewegte Bilder setzen.

In Europa und Deutschland tut sich dagegen wenig. Es erweist sich vielmehr gerade für die deutschen privaten Fernsehsender als verhängnisvoll, dass lange am Programm gespart und statt für den Zuschauer vor allem für die Werbeindustrie gesendet wurde. Die aber wandert ohnehin ins Netz ab, wo Marketing effizienter eingesetzt werden kann. Pro Sieben Sat 1 beispielsweise hat vor Jahren schon seinen Nachrichtensender verkauft, dabei wären gerade News-Sendungen ein gute Möglichkeit, sich jetzt von Streamingangeboten abzusetzen.

Netflix, in Deutschland 2014 gestartet, und die anderen kostenpflichtigen Streaminganbieter investieren dagegen kräftig vor allem in Inhalte, sie produzieren Serien und Filme, auch in und für Deutschland, werben aggressiv um neue Kunden. Netflix will allein in diesem Jahr acht Milliarden Dollar weltweit in den Ausbau des populären Programms stecken. Gerade forderten deutsche Drehbuchautoren einen Kulturwandel, damit auch hierzulande erfolgreiche Serien entstehen können.

Auch die deutschen TV-Sender brauchen einen Wandel, bevor es zu spät ist.

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