Kommentar:Ich und du

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Der Konsument will gefragt werden und gibt gern Bewertungen ab. Das tut er nicht immer zu seinem eigenen Vorteil.

Von Michael Kuntz

Das Rauschen des Meeres störte den Schlaf. Diese Beschwerde eines Pauschaltouristen macht selbst den Manager vom Kundenservice des Reiseveranstalters ein wenig ratlos. Zimmer mit Meeresblick in Strandnähe, gebucht und bekommen - eigentlich hatte man alles richtig gemacht. Doch was ist schon richtig? Dem einen ist am Strand der Sand zu staubig, dem anderen der Kies zu grobkörnig.

Die persönliche Sicht auf die Dinge ist eben sehr verschieden.

Ein Urteil ist schnell gefällt, erst recht in einer Zeit, in der ein angeblich mündiger Verbraucher unablässig und mitunter schon penetrant um seine Meinung gebeten wird. Ich und du, ich sag dir jetzt meine Meinung, das gibt zunächst mal ein gutes Gefühl, jedenfalls bei dem, der bewertet. Bei dem, den ein harsches Urteil trifft, ist die Begeisterung eher nicht so groß. Und es entsteht mitunter der Wunsch, umgekehrt auch einmal Kunden bewerten zu dürfen, vor allem jene, die selber nicht die Höflichkeit an den Tag legen, die sie für sich erwarten.

Nun hat allerdings die Aufforderung, seine Meinung über ein Produkt oder eine Dienstleistung zu äußern, nicht zwangsläufig etwas mit Höflichkeit zu tun. Eher schon mit einem ökonomischen Kalkül, einem mal mehr, mal weniger knallharten. Nur leicht hinterhältig ist die Strategie, einen Kunden zu befragen, damit der etwas von sich preisgibt, was er sonst für sich behalten würde. Derlei Sammelei von Daten und Informationen mag noch akzeptabel sein, solange sie dem Interesse des Befragten dient.

Dass ausgebuffte Marketing-Leute sich um das Wohl ihrer Kunden sorgen, ist jedenfalls nicht garantiert. Denen geht es oft auch darum, Schmerzgrenzen auszuloten. Was lässt sich an Leistung einsparen, damit ein Käufer dies gerade noch klaglos hinnimmt oder es im Idealfall überhaupt nicht bemerkt. Die Befragung steht dann eher für ein geheucheltes Interesse. In Wahrheit geht es bei ihr nicht um das Wohl des Kunden, sondern um das des Unternehmens. Eine solche Befragung ist eher eine Art Diebstahl der Zeit des Kunden.

Sie bringt ihm nichts. Was also tun bei so viel Raffinesse? Cool bleiben, nichts sagen und das nächste Mal zur Konkurrenz wechseln. Diese Form der Totalverweigerung mag bei allzu durchsichtigen Marketing-Tricks angemessen sein. Dem menschlichen Wesen entspricht sie nicht. Denn der Konsument möchte gefragt werden und sein. Will beitragen zur Schwarmintelligenz, von der die ganzen Bewertungsportale im Internet leben. Jedenfalls, wenn er etwas davon hat. Das gibt es durchaus auch: Mehr als 90 Prozent Weiterempfehlung, so ein Hotel kann nicht schlecht sein - Sand oder Kies, egal. Könnte sogar stimmen, wenn die Basis breit ist, also mehr als hundert Bewertungen umfasst.

Bei Dienstleistungen kommt noch ein Aspekt hinzu, der in Bewertungen nicht eingeht. Menschen begegnen einander und das klappt mal besser und mal weniger gut. Beteiligt ist immer der Bewertende selbst, er kann den Lauf der Dinge beeinflussen, so oder so. Guten Tag wünschen, bitte oder Danke sagen, sogar den Kopfhörer absetzen und das Mobiltelefon kurz in die Tasche stecken. All das ist erlaubt - und es kann wirkungsvoll sein.

Wenn man ihm freundlich gegenübertritt, dann erscheint vielleicht sogar der Immigration-Officer am Flughafen in Peking nicht mehr so abweisend, der hinter einem Bewertungs-Tableau sitzt. Dann muss man nicht automatisch auf den Knopf mit dem grantigen roten Smiley drücken. Grün geht nämlich ebenfalls. Wer andere bewertet, bewertet auch immer ein wenig sich selbst.

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