Kommentar:Haub lenkt, Gabriel denkt

Im Streit um den Zusammenschluss von Tengelmann und Edeka wartet nun alles auf die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers. Doch dessen Spielraum ist nur sehr begrenzt.

Von Michael Kläsgen

Was für ein Spektakel. Sechs Stunden dauerte die Anhörung. Sigmar Gabriel blieb fünf Stunden und 45 Minuten. Alle 14 Parteien (eine erschien nicht) durften ihre Argumente erstmals öffentlich darlegen. Sie taten es zum Teil hingebungsvoll. Zwischendurch wurde der Opfer der Terroranschläge in Paris gedacht und auch gelacht. Der Minister hörte zu, bohrte nach und machte im Prinzip eine gute Figur. Es geht immerhin um 16 000 Arbeitsplätze. Der Bundeswirtschaftsminister erweckte in keiner Sekunde den Eindruck, als würde er die Angelegenheit nicht ernst genug nehmen. Innerhalb der kommenden vier bis fünf Wochen, auf jeden Fall vor Weihnachten, will er, wie aus dem Ministerium zu erfahren war, dann entscheiden, ob Edeka die 451 Supermärkte von Tengelmann übernehmen darf oder nicht.

Das hört sich an, als sei der Minister, der im konkreten Fall zudem Vizekanzler und SPD-Vorsitzender ist, mit unbegrenzter Macht ausgestattet. So als obliege es ihm allein, über das Schicksal der Tengelmänner und -frauen zu richten. Aber das ist falsch. Gabriel hat im Fall Edeka/Tengelmann nicht sehr viel zu sagen, jedenfalls keine uneingeschränkte ordnungspolitische Entscheidungsgewalt. Er hat nicht einmal unbedingt das letzte Wort. Sein Handlungsspielraum ist auf ein Minimum beschränkt. Er hat, wie ein Betriebsrat es zugespitzt in Bezug auf seine eigene Situation formulierte, die Wahl zwischen Pest oder Cholera.

Der Tengelmann-Chef hat den Verkauf schon weit vorangetrieben

Und das hat er einem gewissen Karl-Erivan Haub zu verdanken, dem Tengelmann-Chef und -Eigentümer, der alle seine Supermärkte unbedingt an den Wettbewerber Edeka verkaufen will. Haub fädelte das Geschäft so geschickt und wasserdicht ein, dass kaum jemand etwas dagegen machen kann, weder das Kartellamt noch die Monopol-Kommission oder gar der vermeintlich mächtige Bundesminister. Das mag man bedauern. Haub hat aber zielstrebig Fakten geschaffen. Er hat einen Vertrag mit Edeka geschlossen, alle anderen Interessenten ausgebootet und, während das Ministererlaubnis-Verfahren lief, die Kooperation mit Edeka vorangetrieben. Just am Tag der Anhörung begann Edeka die Supermärkte Kaiser's Tengelmann mit Tiefkühlkost zu beliefern. Obst und Gemüse erhalten sie bereits von Edeka.

Entscheidender aber für die stark eingeschränkte Macht des Ministers ist: Haub hat für den Fall eines Neins von Gabriel ein Horrorszenario entworfen, nämlich die Zerschlagung. Das Wort ist mit Bedacht gewählt. Es soll Angst machen. Mindestens 8000 Menschen würden ihren Arbeitsplatz verlieren und mindestens 200 Filialen geschlossen. "Kaiser's Tengelmann wird es nicht mehr geben", orakelte Haub während der Anhörung finster.

Was bleibt Gabriel angesichts dieser Alternative anderes übrig, als für die Fusion zu stimmen, wenn auch vielleicht mit Auflagen zur Arbeitsplatzsicherung? Haub lässt ihm keine andere Wahl. Er hat zwar nicht das Sagen, aber doch den entscheidenden Einfluss. Die Supermärkte sind sein Eigentum. Er kann damit im Prinzip machen, was er will, solange er gegen keine Gesetze verstößt. Das Wort Ministererlaubnis suggeriert zwar, dass der Minister eine substantielle Entscheidungsbefugnis hätte. In Wahrheit aber steht er vor vollendeten Tatsachen.

Haub hat die engen Grenzen des Ministererlaubnis-Verfahrens früh erkannt und für sich genutzt. Es geht dabei nicht darum, nach alternativen Käufern zu suchen oder die bestmögliche Lösung für die 451 Supermärkte und ihre Mitarbeiter zu finden. Für Anhänger einer umsichtigen Ordnungs- oder Wirtschaftspolitik mag das Verfahren deshalb unbefriedigend sein. Zumal es viele Gegner der Fusion und zugleich auch viele seriöse Kaufinteressenten gibt und Gabriel von der Sinnhaftigkeit des Zusammenschlusses auch nicht überzeugt zu sein scheint. Am Ende aber gilt es, die drohende "Zerschlagung" der seit 14 Jahren verlustbringenden Kette zu verhindern.

Haub hat sich das so weit klug oder, wie manche sagen würden, schlitzohrig ausgedacht, aber doch einen Denkfehler gemacht. Sagt Gabriel tatsächlich, wenn auch unwillig, Ja, landet die Sache vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf. Diverse Verfahrensbeteiligte kündigten bereits an, dann den Rechtsweg einzuschlagen. Das OLG hätte schließlich das letzte Wort. Im widrigsten Fall für Haub könnte sich das ohnehin schon lange Verfahren dann noch einmal über Jahre hinziehen und der Tengelmann-Chef so lange auf seinen Verlustbringern sitzen bleiben. Das Horrorszenario könnte sich letztlich gegen ihn wenden. So gesehen, wäre ein öffentliches Bieterverfahren doch der bessere Weg gewesen.

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