Kommentar:Hätt' ich, tät' ich, wär' ich

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Neue Technologien eröffnen scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten. Doch der Hype um Kryptowährungen wie Bitcoin weist Parallelen zu jener Zeit um die Jahrtausendwende auf, als sich an der Börse die "Internet-Blase" entwickelte.

Von Harald Freiberger

Es war das teuerste Abendessen ihres Lebens, und zwar für jeden einzelnen der vier jungen Kollegen, die im Jahr 1999 daran beteiligt waren. Zum Nachtisch hatte einer einen heißen Tipp mitgebracht: die Aktie eines noch unbekannten Internet-Unternehmens, das angeblich gerade dabei war, den gesamten südamerikanischen Markt zu erobern.

Das Internet und seine Chancen machten zu jener Zeit viele Menschen verrückt. An der Börse gab es einen beispiellosen Boom von Technologie-Aktien, deren Kurse sich oft binnen kurzer Zeit verdoppelten. Man diskutierte darüber an den Stammtischen und flüsterte sich Tipps beim Abendessen zu. Am nächsten Tag kaufte jeder der vier Kollegen Aktien, der Vorsichtigste von ihnen für 3000 D-Mark, der Optimistischste für 6000.

Investieren sollten Anleger nur "Spielgeld", dessen totalen Verlust sie verkraften könnten

Es ist kein Zufall, dass solche Erinnerungen jetzt hochkommen. Was sich seit einigen Wochen um Kryptowährungen wie Bitcoin abspielt, weist Parallelen zu jener Zeit um die Jahrtausendwende auf, als sich mit immer größerem Tempo an der Börse die später sogenannte Internet-Blase aufblies. Eine neue Technologie eröffnet scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten; damals war es das Internet, heute ist es die Blockchain, das Software-Konzept, das den Kryptowährungen zugrunde liegt. Sie regen die Fantasie von Anlegern ungemein an, was dazu führt, dass immer mehr einsteigen und die Kurse irrsinnige Höhen erreichen.

Die Spekulation um die Kryptowährungen ist heute sogar um ein Vielfaches intensiver als damals. Ein Bitcoin war im Jahr 2017 zeitweise mehr als 17 Mal so viel wert wie zu Jahresbeginn. Die vergangene Woche, als er binnen zwei Tagen um ein Drittel fiel, zeigt aber auch, wie schnell sich die Richtung drehen kann.

Zu erkennen ist jetzt auch wieder das Muster des "Hätt' ich, tät' ich, wär' ich", das zu Zeiten der Internet-Blase schon hervortrat. Es äußert sich in dem Bedauern darüber, dass man angesichts immenser Kursanstiege nicht vorher eingestiegen ist, und es speist sich aus dem alten Menschheitstraum vom Reichtum ohne Arbeit und ohne Mühe: "Hätt' ich vor einem Jahr für 70 000 Euro Bitcoin gekauft, wär' ich heute Millionär." Dieses Muster hat noch nicht breite Schichten der Bevölkerung erfasst wie vor 20 Jahren, aber in jüngeren Kreisen zeichnet es sich schon deutlich ab. Dozenten berichten, dass in einschlägigen Uni-Seminaren (BWL, Informatik) nur noch die erste Reihe aufpasst, ab der zweiten Reihe hängt man am Smartphone und diskutiert darüber, in welche "Coin" man investieren könnte. Es gibt ja nicht nur Bitcoin, es gibt inzwischen mehr als 1400 solcher Kryptowährungen, und fast täglich kommen neue hinzu.

Auch das erinnert an die Nuller-Jahre, als auf einmal windige Technik-Klitschen ohne Geschäftsmodell an die Börse gingen, um das Geld von Anlegern einzusammeln, die auf Reichtum hofften. Was damals der IPO (Initial Public Offering) war, heißt heute ICO (Initial Coin Offering): Start-ups bringen eine eigene Kryptowährung heraus und hoffen darauf, dass der Kurs nach oben schießt. Die Szene ist ein Wilder Westen, noch völlig unreguliert. Die Fantasie, die Blockchain freisetzt - eine transparente, im Grunde demokratische Technologie, die viele Bereiche des täglichen Lebens revolutionieren kann - zieht auch Scharlatane an.

Wie können sich in dieser Situation Anleger verhalten, die den Impuls der "Hätt' ich, tät' ich, wär' ich" bereits in sich verspüren? Vielleicht hilft es, darauf zu blicken, wie es mit der Internet-Blase weiterging. Nach 2000 platzte alles, die Aktienindizes stürzten ab, viele Technologie-Firmen verschwanden, einige ihrer Protagonisten wurden wegen Betrugs verurteilt.

Das Internet als Technologie aber setzte danach erst zu seinem Siegeszug an und brachte Erfolgsgeschichten wie jene von Apple, Google und Facebook hervor. Im Jahr 1999 war von ihnen noch kaum die Rede, dafür zum Beispiel von einem jungen Unternehmen, das den südamerikanischen Markt aufrollen würde. Ein Jahr später stand der Aktienkurs bei fast null. Für die vier damals jungen Kollegen war es das teuerste Abendessen aller Zeiten, aber sie haben dabei etwas gelernt, das ihnen heute hilft: Im frühen Stadium einer neuen Technologie ist jede Anlage hochspekulativ. Es ist auch spekulativ, breit in viele solcher neuen Firmen zu investieren, weil diese auch in der Breite scheitern können.

Investieren sollten Anleger in solche Dinge nur mit "Spielgeld", dessen totalen Verlust sie verkraften könnten. Keine so gute Idee ist es dagegen, auf das Prinzip des "Hätt' ich, tät' ich, wär' ich" die eigene Altersvorsorge aufzubauen.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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