Kommentar:Griechische Erblast

Nur wenige Stunden haben die Abgeordneten Zeit, Unterlagen zu weiteren Krediten für Griechenland zu lesen. Das ist ungeschickt.

Von Cerstin Gammelin

Keine 24 Stunden hätten die Abgeordneten Zeit gehabt, 357 Seiten voll mit Zahlen, Tabellen und Finanzbegriffen zu lesen und zu verstehen. Dann hätten sie sich eigentlich entscheiden müssen, wie sie zu den vom Bundesfinanzministerium aufgelisteten Begründungen für die Freigabe weiterer Milliardenkredite für Griechenland stehen. Zwar kam dann alles anders, und mehr als eine Stellungnahme war dem Haushaltsausschuss im Bundestag ohnehin nicht abverlangt. Aber man kann an diesem Zeitablauf erahnen, wie es um die Mitsprache des Bundestages bei der Freigabe weiterer Griechenlandkredite bestellt ist: miserabel.

Selbst Experten, die bei den nächtelangen Verhandlungen zwischen den internationalen Kreditgebern und Griechenland dabei waren, dürften mehr als 24 Stunden benötigen, um deutsche Übersetzungen und englische Originale abzugleichen. Ganz davon abgesehen, dass es außerordentlich aufwendig ist, in Stichproben nachzuprüfen, ob die griechische Regierung alle Voraussetzungen erfüllt hat oder eben nicht.

Völlig unplausibel also, dass deutsche Haushaltspolitiker schneller sein könnten als europäische Unterhändler - selbst wenn sie, wie aus den Unterlagen hervorgeht, die Entwürfe einiger Dokumente vorab erhalten hatten. Wenn aus sechs Jahren Verhandlungen mit Griechenland eine feste Erkenntnis gewachsen ist, dann diese: Alles ändert sich ständig.

Schäuble macht es seinem Nachfolger schwer. Wenn er sich aber selbst nachfolgt?

Dass das Finanzministerium den Abgeordneten nur ein paar Stunden Zeit geben wollte, die Unterlagen zu prüfen, erscheint angesichts der Brisanz der Sache mindestens ungeschickt. Die vielen Seiten bergen schließlich Informationen, die entscheidend für die Frage sind, ob Kredite freigegeben werden sollen oder nicht.

Wie der Zufall es will - wenn es denn Zufall wäre und nicht eher die Regel, weil Athen eigentlich immer die Erfüllung der Kreditauflagen verzögert - besteht nun die Gelegenheit dazu, noch ein bisschen nachzudenken. Weil die griechischen Behörden am Mittwoch wieder nicht alle dringlich gemachten Voraussetzungen zur Freigabe der Kredittranche erfüllt haben, musste der Haushaltsausschuss seine Stellungnahme verschieben. Zunächst auf diesen Freitag. Er hat also 48 Stunden zusätzliche Zeit gewonnen, um Fragen zu stellen. Beispielsweise die, ob der Internationale Währungsfonds (IWF) sich tatsächlich am dritten Kreditprogramm beteiligt.

Bisher ist der Fonds keineswegs dabei, auch wenn seine Experten in Griechenland sind und er sich an der Überprüfung der Reformfortschritte beteiligt hat. In den Unterlagen ist dazu zu lesen, dass der IWF seine Bereitschaft erklärt habe, seinem Direktorium die Teilnahme am Programm vor Ende 2016 zu empfehlen. Allerdings nur auf der Basis der Ergebnisse einer neuen Schuldentragfähigkeitsanalyse.

Die Einschränkung lässt zwei Interpretationen zu. Die des Bundesfinanzministers, wonach der Fonds damit sicher an Bord ist, weil es in dessen Aufsichtsrat eine Mehrheit dafür gibt. Dagegen steht, dass sich der Fonds mit einer Ausnahme nie gegen eigene Berechnungen entschieden hat, Kredite in ein Land zu geben, die dort versickern könnten. Würde der Ausschuss seine Aufgabe als demokratisches Kontrollgremium ernst nehmen, müsste er den Bundesfinanzminister fragen, warum der Fonds, wenn dessen Beteiligung am dritten Kreditprogramm so sicher ist, diese nicht jetzt schon erklärt? Warum also wartet er noch?

Die Antwort darauf führt zielgenau zu der entscheidenden Frage: Müssen die Euro-Länder die griechischen Schulden teilweise erlassen, damit das Land langfristig attraktiv wird für Investoren? Damit es nicht einen großen Teil der Staatseinnahmen für den Schuldendienst verwenden muss, was zwangläufig zu unsicheren Investitionsbedingungen führt?

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat diese Frage beantworten müssen, um sich die Absichtserklärung des IWF zu sichern. Die Antwort ist im Übrigen sehr weitgehend ausgefallen. Er hat erstmals anerkannt, dass die griechischen Schulden nicht nachhaltig sind und dass im Jahr 2018 weitgehende Maßnahmen getroffen werden müssen, damit sie es werden.

Auch wenn Wolfgang Schäuble es nicht gern hören mag: Wer immer ihm ins Amt des Finanzministers folgt (womöglich folgt er sich selbst), wird eine griechische Altlast vorfinden. Bald nach Amtsantritt wird der Nachfolger den Bundestag bitten müssen, Athen bei den Schulden entgegen zu kommen. Der Haushaltsausschuss ist gut beraten, jetzt weiter zu denken als bis zur Bundestagswahl.

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