Kommentar:Goliath im Tagebau

Garzweiler ist das neue Wendland: Demonstranten übten jahrelang beim Protest gegen Atomkraft und ziehen nun gegen die Braunkohle zu Felde. Sie haben gute Gründe. Selbst die Bundeskanzlerin blies bereits zur "Dekarbonisierung".

Von Michael Bauchmüller

Die Bilder sind noch lebendig. Demonstranten klettern über Zäune, blockieren Straßen. Die Polizei rückt mit Hundertschaften an, mit Tränengas und Wasserwerfern. Am Ende gibt es Verletzte auf beiden Seiten und jede Menge Bilder von einem gesellschaftlichen Großkonflikt: So war es jedes Jahr im Wendland, wenn Castoren ins Zwischenlager Gorleben rollten. Die Atommüll-Behälter waren das Sinnbild der Risiken und Nebenwirkungen der Kernkraft. Seit der Müll nicht mehr dorthin kommt, sind die Bilder erst mal weg.

Nun kommen die Bilder von woanders.

An diesem Wochenende haben Hunderte Demonstranten den Tagebau Garzweiler II gestürmt. Sie besetzten einen Schaufelradbagger und brachten den Tagebau zum Erliegen, andere blockierten eine Kohlebahn. Die Polizei schritt ein, es gab Verletzte. Der RWE-Konzern, der den Braunkohle-Tagebau im Rheinland betreibt, stellte hundertfach Anzeige, dennoch sprachen die Initiatoren euphorisch von einer "neuen Dimension" des Widerstands gegen die Kohle. Damit könnten sie glatt recht behalten. Die Auseinandersetzung um die Kohle ist auf bestem Wege, jene um die Kernkraft zu beerben.

Die Zutaten dafür sind ganz ähnlich. Wie einst die Kernkraft folgt auch der Kohlekonflikt dem Schema David gegen Goliath - hier wie dort sind große Energiekonzerne wie RWE und Vattenfall die Profiteure, hier wie dort wird der Strom in Großkraftwerken erzeugt, die kleineren, dezentralen Anlagen Konkurrenz machen. Nur steht der Goliath diesmal im Tagebau.

Gerade die hiesige Braunkohle mit ihrem schlechten Brennwert setzt der Erdatmosphäre zu

Wie bei der Atomenergie bezieht der Widerstand auch jede Menge umweltpolitische Legitimation. Waren es bei den Kernkraftwerken die unüberschaubaren Folgen einer Kernschmelze und die bis heute offene Frage der Endlagerung, ist es bei der Kohle die miserable Klimabilanz: Gerade die hiesige Braunkohle mit ihrem schlechten Brennwert setzt der Erdatmosphäre zu. Kraftwerke im Rheinland und in der Lausitz zählen deshalb, was den Kohlendioxid-Ausstoß angeht, zu den größten Dreckschleudern Europas. Und nicht zuletzt ist da ein gut organisierter Widerstand bei Umweltgruppen. An den Akws konnten sie sich lange genug üben. Schon jetzt ist klar, dass sich dieser Widerstand nicht stoppen lässt, mehr noch: Diese Bundesregierung hat ihn sogar untermauert, wenn auch teils unfreiwillig. Es war die Bundeskanzlerin selbst, die im Kreis der führenden Industrienationen zur "Dekarbonisierung" blies, zum Abschied von fossilen Energieträgern.

Und es war der Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel, der die deutschen Klimaziele mit der erzwungenen Abschaltung von Kohlekraftwerken zu erreichen versuchte - um den betroffenen Unternehmen diese Abschaltung am Ende mit Millionen zu versüßen. Wer will da Demonstranten noch erklären, sie kämpften nicht für die gute Sache?

Den letzten Stoß aber wird auch der Kohle die deutsche Energiewende versetzen. Großkraftwerke sind kaum kompatibel mit wachsenden Mengen erneuerbaren Stroms. Sie vertragen sich auch nicht mit einer Energiewelt, in der immer mehr Verbraucher selbst Strom erzeugen und speichern, in der sich viele kleine Anlagen intelligent miteinander koppeln lassen. In atemberaubendem Tempo werden Kraftwerke, die einst noch als Rückgrat des Industriestandorts Deutschland galten, zu dessen Dinosauriern. Wenn die Braunkohle zuletzt dennoch gefragt war, dann vor allem ihrer günstigen Förderkosten wegen. Doch verschärfte Klimaauflagen aus Brüssel könnten auch diesen Vorteil in naher Zukunft zunichtemachen. Die Betreiberkonzerne wissen das.

So genannte "Energiekonsens-Gespräche" sollten in den Neunzigerjahren die Auseinandersetzung um die Atomkraft entschärfen. Sie mündeten letztendlich in den Atomkonsens, der einerseits den Ausstieg aus der Kernkraft besiegelte, andererseits den Betreibern aber einen Restbetrieb zusicherte. Der Atomausstieg wurde zwar später von Schwarz-Gelb ausgesetzt, nach dem Reaktorunglückin Fukushima aber flugs wieder ins Werk gesetzt. So endete dieser Konflikt sogar im Einvernehmen von Regierung und weiten Teilen der Opposition.

Nun wäre es Zeit für einen neuen Konsens, diesmal zur Kohle. Weder umwelt-, noch energie-, noch industriepolitisch hat sie auf lange Sicht eine Zukunft. Jetzt aber ist es noch früh genug, das Ende der Tagebaue in den betroffenen Regionen, für Beschäftigte und Betreiber abzufedern. Das allerdings geht nur mit einem konkreten Fahrplan, der in Schritten das Ende der Tagebaue und Kraftwerke regelt - planvoll und auf Jahre gestreckt. Das würde nicht nur dem Klima nützen, sondern auch dem Frieden im Land.

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