Kommentar:Gefangene des Atoms

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Frankreich verkündet die Energiewende. Aber es wäre ein Irrtum anzunehmen, die Atomnation rücke jetzt ab von der Stromgewinnung aus Kernspaltung.

Von Leo Klimm

Jetzt hat auch Frankreich ein Energiewende-Gesetz. Wobei das Wort "Wende", das analog zur deutschen Abkehr von der Atomkraft gern zur Übersetzung benutzt wird, die Sache nicht ganz trifft. Nicht umsonst überschreibt die Regierung in Paris ihr Gesetz im Original lieber mit dem vagen Begriff der "energetischen Transition". Es geht um einen Übergang. Einen Übergang irgendwohin - nur nicht weg von der Atomkraft.

Der Kampf um den richtigen Energiemix steht noch aus

Es wäre ein Irrtum anzunehmen, die Atomnation Frankreich rücke ab von der Stromgewinnung aus Kernspaltung. Dafür liefert der eben verabschiedete Text keine Belege. Was er liefert, sind in Gesetzesform gegossene Versprechen, die Präsident François Hollande mit Blick auf ein paar Grünen-Anhänger im Wahlkampf 2012 proklamiert hatte. Darunter vor allem das Ziel, den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung bis 2025 von 75 auf 50 Prozent zu senken. Ein anderes Ziel ist, den Energieverbrauch bis 2050 zu halbieren. Ein konkreter Fahrplan, welche der 58 Atomreaktoren wann vom Netz gehen, fehlt. Ebenso wie klare Angaben, woher die Mittel für den angestrebten, massiven Ausbau erneuerbarer Energien kommen sollen. Deswegen ist die Wende nicht mehr als der Ausdruck eines energiepolitischen Ehrgeizes, mit dem Hollande vor der Weltklimakonferenz Ende dieses Jahres Eindruck machen will. Ein Kernelement von Hollandes Klimaschutz-Strategie ist die an Treibhausgasen arme Atomkraft - die sein Land praktischerweise im Überfluss besitzt.

Frankreich will sich nicht lösen von der Atomkraft. Das Land ist gefangen von ihr. Wirtschaft und Verbraucher sind angewiesen auf den preisgünstigen Strom, und die Energieindustrie gehört zu den wichtigsten Branchen. Gerade ist die Regierung dabei, mit Milliarden den maroden Kraftwerksbauer Areva zu retten. Sie muss das tun, will sie nicht die Stromversorgung gefährden. In dieser Situation geht es höchstens darum, den Grad der Abhängigkeit vom Atom etwas zu verringern. Allerdings mangelt es selbst dafür an zwei entscheidenden Ressourcen: an politischem Willen und an Geld.

Wie ausgeprägt der politische Wille ist, verrät das neue Gesetz. Es legt für die Atomproduktion eine Obergrenze von 63,2 Gigawatt fest. Das entspricht genau der heute von französischen Reaktoren erzielten Leistung, zwingt also nicht zur Abschaltung eines einzigen Meilers. Wahrscheinlich 2016 wird sich eine Hinterzimmer-Kommission mit der Frage beschäftigen, wie die Ziele aus dem Gesetz umgesetzt werden. Selbst, falls hier ein konkreter Fahrplan für Reaktor-Stilllegungen erarbeitet wird: Zweifel sind erlaubt, ob Hollande ihn sich kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 zu eigen machen würde.

Nicht einmal das besonders umstrittene Kraftwerk Fessenheim, direkt an der Grenze zu Deutschland gelegen, wird vor der Wahl vom Netz gehen. Obwohl Hollande das vor drei Jahren versprochen hat. Die Begründung kam jüngst vom staatlichen Stromversorger EDF: Da sich die Inbetriebnahme eines neuen Druckwasserreaktors in der Normandie wegen Sicherheitsmängeln um Jahre verzögert, darf Fessenheim vorerst nicht vom Netz.

Die zweite fehlende Ressource ist das Geld: Den Verzicht auf Atomkraft und den von Hollande angepeilten Ausbau erneuerbarer Energien muss man sich leisten können. Er kann Hunderte Milliarden kosten - wie die deutschen Nachbarn allzu gut wissen. Angesichts eines notorisch überhöhten Haushaltsdefizits ist nicht zu erkennen, woher Paris dieses Geld nehmen will. Auch den französischen Energiekonzernen fehlen oft die Mittel für groß angelegte Investitionen in Erneuerbare. Oder die Erfahrung damit. Oder beides.

Die Kraft des Faktischen drängt daher vor allem eine Möglichkeit zur Sicherung der Stromversorgung auf: die Verlängerung von Atom-Laufzeiten. Genau die bereitet EDF - mit Billigung des Hauptaktionärs Staat - gerade vor. So sollen Reaktoren, die auf 40 Betriebsjahre ausgelegt sind, nach dem Willen von EDF zehn weitere Jahre laufen. Die Planungen stehen erst am Anfang, sind aber jedenfalls weiter als jene zur Abschaltung irgendwelcher Meiler. EDF wird ohnehin alles tun, um längst amortisierte, hoch rentable Atomkraftwerke so lange wie möglich am Netz zu halten. Sollte der Konzern gar zur vorzeitigen Abschaltung von Meilern gezwungen werden, wird er Entschädigungen verlangen und Tausende Jobs streichen. Das aber will Hollande nicht.

Der Kampf um die Atomindustrie und den Energiemix Frankreichs steht also noch aus. Falls es dazu kommt. Neulich sprach Hollande von einer "Neubegründung der französischen Nuklearbranche". Nach Energiewende klingt das nicht.

© SZ vom 24.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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