Kommentar:Fehlgesteuert

Die steigenden Aktienkurse sind kein Grund zum Jubeln. Nur die Politik des Geldes treibt sie an. Die Kurse sind kein Beleg einer prosperierenden Wirtschaft.

Von Harald freiberger

Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten - so ist das oft an der Börse. Ein Unternehmen kündigt einen Abbau von Arbeitsplätzen an und der Aktienkurs steigt. Die Anleger zählen darauf, dass sich die niedrigeren Kosten künftig in Form höherer Gewinne bemerkbar machen. Und am Ende kommt es an der Börse immer auf den Gewinn an. Das ist zynisch, aber es ist auch rational.

In diesen Tagen gab es in den USA wieder so eine schlechte Nachricht, die an der Börse gut ankam. Der Arbeitsmarktbericht fiel schlechter aus als erwartet, es waren weniger Stellen entstanden als erhofft. Das nährte bei den Investoren die Hoffnung, dass die US-Notenbank Fed sich mehr Zeit lassen könnte, die Zinsen zu erhöhen. Bisher war man davon ausgegangen, dass sie damit Mitte des Jahres beginnt, nun reden manche schon davon, dass es bis 2016 dauern könnte.

Eigentlich ist es keine gute Nachricht, dass die Wirtschaft in den USA länger braucht, um sich zu erholen. Trotzdem stiegen danach die Aktienkurse, auch in Deutschland, wo der Deutsche Aktienindex einen erneuten Anlauf auf seinen Rekordstand von Mitte März nimmt. Es hat den Anschein, als ob es den Investoren egal ist, wie es der Wirtschaft geht - Hauptsache, die Notenbanken sorgen weiter für niedrige Zinsen und billiges Geld.

Es gibt auch einen eindeutigen Zusammenhang: Je schlechter es der Wirtschaft geht, umso niedriger halten die Notenbanken die Zinsen. Die beispiellose Nullzins-Politik in den USA und Europa, die seit sechs Jahren anhält, diente dazu, die Wirtschaft nach der Finanzkrise vor einem Totalabsturz zu bewahren.

Gesünder wäre es, wenn die steigenden Aktienkurse Beleg prosperierender Firmen wären

Der Boom an der Börse ist deshalb das Ergebnis einer Fehlsteuerung. Die Notenbanken haben den Zins für Erspartes und sichere Anleihen de facto abgeschafft. Investoren ziehen Geld daraus ab und schaufeln es in Aktien, weil diese die einzige Anlageklasse sind, die noch höhere Rendite ermöglicht. Gesund wäre es, wenn die steigenden Kurse von einer boomenden Wirtschaft und prosperierenden Unternehmen getragen wären. Sie sind aber von der Politik des billigen Geldes getrieben.

Anders als bei einem Stellenabbau in einem Unternehmen, ist dieses Verhalten der Investoren nicht rational. Es ist zutiefst irrational, weil es die Folgen nicht bedenkt. Die Niedrigzins-Politik kann auf Dauer nicht gut gehen. Eine Wirtschaft, die nur von billigem Geld am Laufen gehalten wird, kann gar nicht prosperieren. Eher ist das Gegenteil der Fall: Schuldenstaaten versäumen es zu sparen und nötige Reformen anzupacken, weil sie sich in falscher Sicherheit wiegen. Das verlängert die Schuldenkrise. Unternehmen und Verbraucher investieren und konsumieren nicht, weil sie wissen, dass die Wirtschaft nur künstlich boomt.

Je länger die Politik des billigen Geldes dauert, umso schwerer wird es, davon loszukommen. Die Zinsen dürften deshalb gerade in Europa noch auf Jahre niedrig bleiben. Damit bleibt auch die Fehlsteuerung an den Börsen in Kraft: Aus Mangel an Alternativen werden die Investoren weiter zu Aktien greifen. Doch wenn die Wirtschaft und die Unternehmensgewinne nicht anziehen, wird die Gefahr immer größer, dass die Blase platzt. Denn am Ende kommt es auf die Gewinne an.

André Kostolany, der 1999 verstorbene große alte Mann der Börse, erfand dazu das Bild von Herrchen und Hund: Der Kurs - der Hund - kann der ökonomischen Lage - dem Herrchen - vorauslaufen oder auch hinter ihm zurückbleiben, aber am Ende werden sie doch immer zueinander finden. An dieser Weisheit ändert sich auch nichts dadurch, dass die Notenbanken mit ihrer Geldschwemme die Kapitalmärkte verzerren. Es kann nur länger dauern, bis Herrchen und Hund zueinander finden. Wann das der Fall sein wird, vermag niemand vorherzusagen, doch die Gefahr ist groß, dass es am Ende Heulen und Zähneklappern gibt. Obendrein zahlen bis dahin Sparer den Preis, weil sie keine Zinsen mehr erhalten und real Geld verlieren.

Was würde helfen? Am Ende landet man immer wieder bei den Auslösern der Krise. Das sind die Staaten, die sich hoffnungslos verschuldet haben, und die Banken, die dies finanzierten. Wie schwierig es ist, aus der Spirale von Verschuldung, brachliegender Wirtschaft und dem Zwang zum Sparen herauszukommen, ist derzeit am Beispiel Griechenlands zu besichtigen. Es wird noch lange dauern, diese Spirale zu durchbrechen, zumal sich auch die größeren EU-Länder Italien und Frankreich in der Krise befinden. So lange wird die Europäische Zentralbank mit billigem Geld helfen müssen, so lange können die Börsen weiter von Rekord zu Rekord eilen. Ein Grund zum Jubeln aber ist das in der Tat nicht.

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