Kommentar:Fast ein Wunder

Die Erinnerung an die Währungsreform vor 70 Jahren sollte wachgehalten werden. Denn die Reform ist eines der wenigen Beispiele, in denen die Erneuerung einer zerstörten Volkswirtschaft gelang - anders als in der ehemaligen DDR. Davon kann man lernen.

Von Nikolaus Piper

An diesem Montag sind es siebzig Jahre her, dass die Währungsreform in den drei Westzonen des besetzten Deutschland verkündet wurde. Für alle, die die Ausgabe der D-Mark im Juni 1948 miterlebten, wurde es ein Schlüsselerlebnis: Über Nacht füllten sich die Schaufenster, der Schwarzmarkt verschwand. Und im kollektiven Gedächtnis, nicht nur dem der Westdeutschen, markiert die Währungsreform den Beginn des völlig unerwarteten Wirtschaftswunders.

Heute ist der Mythos der D-Mark verblasst. Die Deutschen haben ihren Frieden mit dem anfangs ungeliebten Euro gemacht, es ist normal geworden, dass man in Paris oder Tallinn mit dem gleichen Geld zahlt wie zu Hause. Aus Sicht der Jungen hat das Wirtschaftswunder in grauer Vorzeit stattgefunden, andere Ereignisse sind in der Erinnerung der Nation wichtiger geworden - die verspätete Aufarbeitung des Nationalsozialismus, die Wiedervereinigung, die Einführung des Euro. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an den historischen Einschnitt von 1948 wachzuhalten.

Eines der wenigen Beispiele, in denen die Transformation einer Wirtschaft funktioniert hat

Westdeutschland nach dem Krieg ist eines der wenigen Beispiele, in denen die Transformation und Erneuerung einer zerstörten Volkswirtschaft fast reibungslos gelang, anders als in der ehemaligen DDR nach 1990. Es mag an ein Wunder grenzen, dass die Westalliierten den Deutschen nur drei Jahre nach dem Krieg eine Chance gaben und dass die Deutschen diese Chance nutzten. Kein Wunder ist es, dass die Reform funktionierte.

Erstens war die Reform hart und radikal. Über 90 Prozent der Ersparnisse wurden vernichtet. Hätte man aus sozialen Gründen die Sparer geschont, hätte dies nur Geldentwertung ausgelöst. Zwar kam es nach Einführung der D-Mark trotzdem zu einem kurzen Inflationsschub, der blieb aber begrenzt.

Zweitens war die Währungsreform mit einer Schocktherapie (heute ein ungeliebtes Wort) verbunden. Ludwig Erhard, damals noch Wirtschaftsdirektor der britischen und der amerikanischen Zone, gab die Preise für die meisten Güter frei. Der Markt funktionierte wieder, die Zwangswirtschaft war zu Ende.

Drittens hatten die Deutschen nach der Katastrophe des Krieges keine Alternative. Es gab noch keine Lobbyverbände, die die Macht gehabt hätten, die Reform zu verwässern.

Viertens verhinderten die Amerikaner, dass die Deutschen die Ausgabe des neuen Geldes mit komplizierten Verteilungsfragen belasteten. Zwar gab es keinen Zweifel daran, dass jene Deutschen, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, Anspruch auf Solidarität hatten. Das wurde aber einige Jahre später in einem gesonderten Lastenausgleich geregelt.

Und fünftens war die Lage in Werkstätten und Fabriken nicht ganz so schlimm, wie man beim Anblick der zerbombten Städte hätte meinen können. Viele Maschinen und Anlagen funktionierten, und wegen der vielen Vertriebenen und der Flüchtlinge aus der Sowjetischen Besatzungszone gab es trotz des Krieges sogar mehr Arbeitskräfte als zuvor.

Heutzutage würde man die Einführung der D-Mark und Erhards Reformen wohl als "Austeritäts"-Programm verdammen. Dabei zeigt gerade die Währungsreform, dass die Wiederherstellung des Geldwertes, die Sanierung des Staatshaushalts und die Freisetzung von Märkten - nichts anderes bedeutet Austerität - sozial ist. Und der Vergleich mit 1948 vermag auch zu erklären, warum es nach der Einführung der D-Mark in der DDR 1990 so viel Frustration gab. Ostdeutschland hat eben nicht nur eine stabile Währung eingeführt, sondern sich auch mit einem sehr viel teureren Wirtschaftsgebiet zusammengeschlossen. Das ist so, als hätten die Deutschen 1948 nicht die D-Mark, sondern den Dollar eingeführt. Die verheerende Folge dieser Kostenexplosion war eine historisch beispiellose Deindustrialisierung; Westdeutschland musste mit Transfers in dreifacher Milliardenhöhe dagegenhalten. Außerdem waren die Fabriken in der ehemaligen DDR zwar nicht kriegszerstört, wegen der 40-jährigen Abschottung aber meist nicht mehr in der Lage, marktgängige Produkte zu liefern.

Die - aus rein ökonomischer Sicht - falschen Entscheidungen von 1990 und danach mögen politisch unvermeidbar gewesen sein, sie wirken aber bis heute nach. Zum Beispiel, wenn viel mehr über die Angleichung von Löhnen, Renten und Mindestlöhnen zwischen Ost und West nachgedacht wird als über die Chancen für Investitionen. Es gibt viele Anlässe, um vom spektakulären Erfolg der Währungsreform und der sozialen Marktwirtschaft zu lernen.

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