Kommentar:Falsch verbunden

Roaminggebühren und Netzneutralität: EU-Kommissar Günther Oettinger feiert sich als Kämpfer für eine gute Netzpolitik. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Oettinger setzt die Zukunft Europas aufs Spiel.

Von Varinia Bernau

In Fragen des digitalen Lebens ist Günther Oettinger zwar ein Amateur, womit er selbst übrigens ganz gern kokettiert. In Fragen der politischen Inszenierung aber ist er ein ausgebuffter Profi. In der Nacht zu Dienstag hat er das wieder unter Beweis gestellt: Er twitterte, dass ihm ein Durchbruch bei der Abschaffung von Roaminggebühren gelungen sei. Er ließ sich feiern als einer, der ein offenes Internet für alle garantiere.

Leider ließen die 140 Zeichen seines Tweets keinen Platz, um darauf hinzuweisen, dass die vorangegangene EU-Kommission die zusätzlichen Kosten für internationale Telefonate, SMS und Surfen im Netz eigentlich schon zum Ende dieses Jahres hatte abschaffen wollen. Auch nicht dafür, dass die neue Kommission vor den Lobbyisten der Telekommunikationskonzerne eingeknickt ist und ihnen diese einträglichen Gebühren noch eineinhalb Jahre länger bewahrt. Der Digital-Kommissar dürfte gehofft haben, dass das die meisten Europäer, die seine Botschaft vernahmen, auch nicht mehr so genau in Erinnerung haben.

Es ist ärgerlich, dass Oettinger Erfolge für sich reklamiert, die eigentlich gar keine sind. Vor allem deshalb, weil es so symptomatisch für seine Netzpolitik ist, der es an Visionen fehlt. Ja, schlimmer noch, die verkennt, wo die wichtigsten Hebel anzusetzen sind, um Europa ins digitale Zeitalter zu bringen.

Die Europäer sorgen sich nicht nur um ihre Handyrechnung, sondern auch um ihren Job

Das Telekommunikationspaket, für das die Kommission nun zumindest die Zusage der Mitgliedstaaten hat, wurde im Laufe jahrelanger Verhandlungen auf zwei mickrige Punkte zusammengestutzt. Die Preise für den Telefon- wie Datenverkehr bleiben über Landesgrenzen niedrig; und das Netz bleibt neutral, es darf also im Internet keine Vorfahrt für bestimmte Dienste gegen Gebühr geben - wie beispielsweise das Streamen von Filmen oder digitale Gesundheitsdienste. Die Kommission besänftigt damit genau die beiden Gruppen, die ansonsten wohl am lautesten gezetert hätten. Den sprichwörtlichen kleinen Mann, der gern mal darüber schimpft, dass die Handyrechnung im Urlaub zehn Euro teurer ausfällt. Und die ebenso schemenhafte Netzgemeinde, die einen imposanten Wutsturm anzufachen droht, sobald sie die Freiheit des Netzes in Gefahr glaubt. Oettinger und seine Mannschaft halten das, was sie da nun durchgesetzt haben, für eine verbraucherfreundliche Politik. Sie verkennen dabei, dass die meisten dieser Verbraucher nicht so einfältig sind, wie Politiker oft meinen. Ja, dass sie mehr Ehrlichkeit vertragen und sich mitunter sogar wünschen.

Denn Verbrauchern geht es nicht nur darum, weiter eine niedrige Handyrechnung zu haben. Sie verstehen durchaus, dass es eine Menge Geld kostet, dieses Netz auszubauen und gegen Angriffe abzuschirmen, durch das immer größere Datenmengen gesteuert werden müssen. Sie würden auch verstehen, dass dieses Geld irgendwo herkommen muss, wenn sich Politiker denn mal die Mühe machen würden, ihren Wählern das komplexe Geflecht der digitalen Wirtschaft zu erklären. Gewiss, es ist wichtig, die trägen Telekommunikationskonzerne zu zwingen, sich dem Wandel zu stellen, statt abzusichern, dass sie sich auch weiterhin auf dem bislang so bequemen Geschäft ausruhen. Die Kommission muss aber auch dafür sorgen, dass diese Branche ihr Geschäft neu erfinden kann. Sie muss beispielsweise endlich den Datenschutz in Europa reformieren, sodass die gleichen Regeln für Telekommunikationskonzerne und Internetkonzerne gelten. Das eine ist, anders als es Oettinger auf 140 Zeichen suggeriert, nicht vom anderen zu trennen.

Denn nur, wenn sich Europa insgesamt daran macht, ein ebenso stabiles wie sicheres Netz zu bauen, können Verbraucher von den Möglichkeiten profitieren, die die digitale Zukunft verspricht: von einer ärztlichen Diagnose aus der Ferne; von einer klugen Verkehrssteuerung mit funkenden Ampeln und Autos, die Staus ebenso wie schädliche Abgase eindämmen; von Fabriken, die Warenströme so smart analysieren, dass sie neue Dienste ermöglichen und so auch europäischen Mittelständlern das wirtschaftliche Überleben ermöglichen. Sie sind es, die auf dem Kontinent noch immer für das Gros der Jobs sorgen.

Der europäische Verbraucher ist nicht nur Konsument. Er ist auch ein Bürger, der erwartet, dass die Kommission die Weichen dafür stellt, dass der wirtschaftliche Wohlstand seiner Heimat von der analogen in die digitale Zeit gebracht wird. Leider bleibt Oettinger auf diese drängenden Fragen eine Antwort schuldig. Er sucht dazu noch nicht einmal ernsthaft den Dialog mit der Öffentlichkeit.

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