Kommentar:Es reicht nicht

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VW hat für seine Aufräumarbeiten Christine Hohmann-Dennhardt aus dem Daimler-Vorstand geholt. Das ist gut, aber nicht genug für einen Neuanfang. Dazu müssten schon alle Schlüsselpositionen von außen besetzt werden.

Von Karl-Heinz Büschemann

Die Frau verdient Mitleid. Christine Hohmann-Dennhardt aus dem Daimler-Vorstand soll bei VW die Aufräumarbeiten im Abgasskandal in die Wege leiten und künftige Verfehlungen verhindern. Das wird schwierig für die ehemalige Verfassungsrichterin, die bei Daimler ein paar Jahre lang für Compliance, also anständige Verhaltensweise im Unternehmen, zuständig war. Die Aufgabe ist kaum lösbar. Hohmann-Dennhardt ist eine erfahrene Persönlichkeit mit der nötigen persönlichen Unabhängigkeit, um auch Widerstände zu überwinden. Aber in Wolfsburg sind ihre Chancen gering. Vielsagend ist der Satz, mit dem Daimler-Aufsichtsratschef Manfred Bischoff die 65-Jährige verabschiedete. Er wünsche ihr "den größtmöglichen Erfolg". Das heißt übersetzt: Er glaubt wohl nicht, dass sie viel wird erreichen können.

Trotz der Berufung einer Vorstandsfrau für Compliance: Bei VW gibt es keinen Neuanfang

Es ist gut, dass der neue VW-Chef Matthias Müller Christine Hohmann-Dennhardt holt. Sie hat viel Erfahrung im Umgang mit amerikanischen Anwälten und Behörden. Das ist hilfreich. Aber ihre Berufung reicht nicht für einen echten Neuanfang. In Wolfsburg geht es nicht darum, ein paar Irregeleitete auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. In Wolfsburg stimmt die Machtbalance nicht. VW ist in die Krise geraten, weil der Konzern in einer Umklammerung von IG Metall und Land Niedersachsen, die gemeinsam die Mehrheit der Aufsichtsratssitze haben, nicht kontrollierbar ist. Da zugleich die Eigentümerfamilie Porsche-Piëch handelt wie in einem Familienbetrieb, ist professionelle Unternehmensführung auf Weltstandard kaum möglich. Das Ergebnis dieser Melange ist nicht allein diese Abgaskatastrophe, die den Konzern in seiner Existenz gefährden kann.

Es gab zuvor schon zwei Katastrophen. Vor gut 20 Jahren hat VW durch den von GM abgeworbenen Einkaufsmanager Ignacio López illegal Daten bei dessen früherem Arbeitgeber abgegriffen. Später wurde die Korruption von Betriebsräten ruchbar. Alle Vorfälle haben eine gemeinsame Ursache: Das verschlungene Geflecht und die undurchsichtigen Machtspiele zwischen den Parteien, die sich gegenseitig begünstigen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Die Konstellation lässt effiziente Kontrolle nicht zu. Die mächtigen Betriebsräte und das Management halten sich gegenseitig in Schach. So entsteht Abhängigkeit, aber nicht Vertrauen. Daran wird sich bei VW nichts ändern, wie sich jetzt zeigt. Die Eigentümerfamilien, IG Metall und Land Niedersachsen haben die einmalige Chance zum personellen Neuanfang verspielt, obwohl es dafür geeignete Kandidaten gegeben hätte. Der Siemens-Konzern hat in seiner Krise die Vorlage geliefert, wie man nach einem Skandal von vorne anfängt. Bei VW geht es im Wesentlichen weiter wie bisher.

Es war ein Fehler, den lang gedienten VW-Manager Hans Dieter Pötsch zum Aufsichtsratsvorsitzenden zu machen. Es war ebenfalls ein Fehler, den früheren Porsche-Chef Müller zum Nachfolger von Martin Winterkorn zu berufen. Beide sind seit Jahrzehnten im VW-Konzern. Nicht einmal der Aufsichtsrat wollte die Hand für Müller ins Feuer legen und ließ sich von ihm vor dessen Berufung unterschreiben, dass er mit der Abgassauerei nichts zu tun hat. Das ist Hilflosigkeit pur und eine Misstrauenserklärung. Ein solcher Mann kann nicht aufklären. Er ist zu stark in die alten Strukturen verwoben, um über jeden Zweifel an einer Mitverantwortung erhaben zu sein.

Schon jetzt stolpert Müller mehr durch die Aufklärung, als dass er sie in der Hand hat. Zwei Beispiele: Der Spiegel meldete, bei VW seien mehr als 30 Personen in den Skandal verwickelt und nicht nur einige wenige. VW dementierte wütend. Aber warum? Weiß Müller, wie viele Beteiligte es genau sind? Warum sagt er es dann nicht? Oder er weiß es nicht, dann war das Dementi töricht. Beispiel zwei: Der hochrangige VW-Manager Winfried Vahland, der für den Posten des USA-Chefs vorgesehen war, scheidet überraschend aus. Das lässt aufhorchen: In Amerika entscheidet sich das Schicksal von VW wegen drohender Milliardenprozesse. Doch dass Vahland geht, gab nicht VW bekannt, die Medien hatten es herausgefunden.

Aufklärung bei VW kann nur funktionieren, wenn alle Schlüsselstellen in der Führung von Menschen besetzt werden, die nicht zu dem alten und korruptionsanfälligen VW-Netzwerk gehören. Das gilt für Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberseite. Wer soll Hohmann-Dennhardt unterstützen, wenn sie erfährt, dass ihr Aufsichtsratschef doch in die Affäre verwickelt ist, oder wenn sich herausstellt, dass auch Vorstandschef Müller von der Sache wusste? Der Kampf der Christine Hohmann-Dennhardt wird einsam.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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