Kommentar:Erdgas ist Macht

Es ist ein großer Unterschied, ob die Macht, die die Energie verleiht, in den Händen von gewählten Regierungen oder von autokratischen Herrschern liegt. Das Eintreten für Demokratie und Menschenrechte ist daher für Deutschland auch eine Sicherheitsfrage.

Nikolaus Piper

Plötzlich ist sie wieder da, die fast vergessene Frage nach der Sicherheit der Energieversorgung. Russland und die Ukraine streiten über den Preis für Erdgas, und in Westeuropa sinkt der Druck in den Pipelines. Zwar dürfte fürs Erste in Deutschland deshalb keine Wohnung ungeheizt bleiben, aber die Machtspiele des staatlichen russischen Energiegiganten Gazprom finden doch beunruhigend nah statt, und zwar nicht nur in geographischer Hinsicht.

Das Projekt einer deutsch-russischen Ostsee-Pipeline, im Dezember offiziell begonnen, bekommt vor dem Hintergrund des Streits zwischen Moskau und der westlich orientierten Regierung in Kiew ein ganz besonderes Gewicht - ebenso wie die Tatsache, dass der bisherige Kanzler als Aufsichtsrat des Pipeline-Betreibers indirekt für Gazprom arbeitet.

Über Energie wurde in der Bundesrepublik zuletzt immer unter zwei Aspekten gesprochen: Preis und Umweltschutz. Es wird höchste Zeit, dass Politik und Öffentlichkeit auch den dritten, entscheidenden Aspekt zur Kenntnis nehmen, die langfristige Sicherheit der Versorgung.

In den siebziger Jahren wurde das Problem noch ein wenig naiv diskutiert, so als gäbe es eines Tages einfach kein Öl und kein Gas mehr. Naiv insofern, als man so tat, als könnten Menschen auf Knappheit nicht rational reagieren. Tatsächlich haben sie dies getan: Neue Öl- und Gasquellen wurden erschlossen, in erneuerbare Energie wurde investiert und viel an Effizienz gewonnen. Die Knappheitsfrage schien daher einiges an Brisanz zu verlieren.

Doch nun ist sie wieder da, drängender denn je. Das Fass Rohöl kostet beständig mehr als 60 Dollar, der Energiehunger Chinas ist ungebrochen, Russland setzt seinen Energiereichtum ohne Bedenken als politisches Instrument ein. Jetzt zeigt sich wieder das ökonomisch Selbstverständliche: Lange ehe die Öl- und Gasvorräte tatsächlich erschöpft sind, setzen sich Knappheiten in höhere Preise und diese in politische und ökonomische Macht um.

Opfer ist in diesen Tagen die Ukraine, niemand garantiert aber, dass es nicht auch einmal Westeuropa treffen könnte. Die Gefahr spielt insofern bereits heute eine Rolle, als dass sich Gerhard Schröder bei seiner Moskau-Politik auch vom Ziel einer sicheren Energieversorgung leiten ließ. Dies zeigt, welche Macht bereits heute im Erdgas liegt.

Russland liefert 66 Prozent des in die EU importierten Erdgases. Der Anteil wird mittelfristig sinken, doch an dem Machtpotenzial des Kreml ändert das nichts. Dazu kommt, dass Putin eben nicht der Musterdemokrat ist, als den ihn Schröder gerne hinstellen möchte. Und schließlich ist Russland immer noch nicht Mitglied der Welthandelsorganisation und daher auch nicht an deren Gebot der Nicht-Diskriminierung von Handelspartnern gebunden.

Macht ist im Übrigen nicht nur bei den Lieferanten, sondern auch bei den Nachfragern von Energie ein treibender Faktor. So ist die Außenpolitik der Volksrepublik China - das Land importiert seit 1994 Öl - ohne die Energiefrage nicht zu erklären. Ein chinesisches Staatsunternehmen versuchte, die amerikanische Ölfirma Unocal zu kaufen, und zwar zu einem deutlich überhöhten Preis, was das Pekinger Machtkalkül offen legt. Chinesen investieren in Kasachstan und in Westafrika, im Iran und im Sudan - immer im Interesse der Energiesicherheit. Die Investitionen werden für Europa dann sicherheitsrelevant, wenn die Führung in Peking daraus harte politische Schlüsse zieht.

China hat im Sicherheitsrat gebremst, als es darum ging, die Morde und ethnischen Säuberungen im Westsudan zu bekämpfen. Die Volksrepublik blockiert die Bemühungen des Westens, das Regime der Mullahs von seiner nuklearen Aufrüstung abzubringen. Iran verfügt über elf Prozent der Weltölreserven und über 15 Prozent der gesicherten Gasreserven.

Die deutsche Politik muss sich auf diese neue Konstellation wohl oder übel einstellen. Eine Schlussfolgerung dabei heißt, wie immer, wenn es um Knappheit geht: mehr Wettbewerb, der für einen möglichst effizienten Einsatz der Ressourcen sorgt.

Mehr Preiswettbewerb im Inneren auch bei Erdgas und Strom.

Mehr Wettbewerb auch nach außen: möglichst viele Energielieferanten in möglichst vielen Weltregionen.

Allerdings sind der Diversifizierung hier Grenzen gesetzt. So gibt es derzeit die Infrastruktur gar nicht, um zum Beispiel Erdgas aus Katar als Konkurrenz zu den russischen Importen nach Europa zu holen. Deutschland braucht also tatsächlich auch ein nationales Energiekonzept, wie die Union dies jetzt fordert.

Das Energiesparen muss weiter gefördert werden - daher war die Einführung der Ökosteuer auch im Lichte der Sicherheitsfrage eine richtige Entscheidung. Deutschland wird aber auch um eine neue, sehr unbequeme Debatte um die Zukunft der Atomkraft nicht herumkommen.

Und, nicht zu vergessen: Es ist ein großer Unterschied, ob die Macht, die die Energie verleiht, in den Händen von gewählten Regierungen oder von autokratischen Herrschern liegt. Das Eintreten für Demokratie und Menschenrechte ist daher für Deutschland auch eine Sicherheitsfrage.

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