Kommentar:Ende eines Irrwegs

An diesem Mittwoch hat der neue Chef der Deutschen Bank, John Cryan, seinen ersten Arbeitstag. Das Bild, das sich ihm offenbart, ist desaströs. Das Institut besteht nicht aus mehreren Baustellen, es ist eine einzige große Baustelle.

Von Harald Freiberger

Die Deutsche Bank stand vielleicht nie in ihrer fast 150-jährigen Geschichte so schlecht da wie zurzeit. Alles liegt am Boden: das Ansehen der Bank in der Öffentlichkeit, der Aktienkurs, die Rendite, die Kapitalisierung, das Vertrauen der Investoren.

An diesem Mittwoch hat der neue Chef John Cryan seinen ersten Arbeitstag. Wie es heißt, hat er sich schon einen Überblick verschafft und mit wichtigen Leuten gesprochen. Das Bild, das sich ihm offenbart, ist desaströs. Die Deutsche Bank besteht nicht aus mehreren Baustellen, sie ist eine einzige große Baustelle, bei der man gar nicht weiß, wo man mit der Arbeit anfangen soll.

Möglicherweise hilft es, auf den Ur-Fehler zu blicken, der die Bank dorthin gebracht hat, wo sie heute steht. Dieser Ur-Fehler war die Berufung des früheren Investmentbanking-Chefs Anshu Jain zum Gesamtchef vor drei Jahren. Er hatte einen hervorragenden Ruf in seinem Metier und der Bank über Jahre Milliarden-Gewinne beschert.

An diesem Mann glaubte der Aufsichtsrat nicht vorbeizukommen, als es darum ging, einen Nachfolger für Josef Ackermann zu finden, der zehn Jahre Deutsche-Bank-Chef gewesen war. Da man dem Investmentbanker Jain, der in London lebte und kaum Deutsch sprach, nicht ganz traute, stellte man ihm mit Jürgen Fitschen eine Art Aufpasser zur Seite, der die deutsche Seite der Deutschen Bank zur Geltung bringen sollte.

Dieses Modell der Doppelspitze ist komplett gescheitert. Jain hat Fitschen an den Rand gedrängt, seine Londoner Leute in zentrale Positionen gebracht und sich die Bank untertan gemacht. Er war dafür der falsche Mann, denn der Wind in der Bankenwelt hatte sich 2012, fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise, längst gedreht. Es waren nicht mehr die Investmentbanker, die den Ton angaben, sondern die Regulierer und Risiko-Begrenzer. Jain aber dachte, er könnte immer so weitermachen, wie er es gelernt hatte, womöglich weil er es gar nicht anders kann. Das führte zu der katastrophalen Fehleinschätzung, es sei mit einigen kosmetischen Korrekturen getan, danach werde man zu alter Stärke zurückkehren. Doch die Regulierung machte viele Investmentbanking-Geschäfte unrentabel. Das Ergebnis war eine Rendite, bei der Investoren sich mit Grausen abwenden. Zumal Strafzahlungen alter Sünden, vor allem im Investmentbanking, zusätzlich auf den Gewinn drückten.

Es war ein fataler Irrglaube, Jain sei der Richtige, um die Bank in eine neue Zukunft zu führen. Er hat sie strategisch in eine völlig falsche Richtung bugsiert. Die wichtigste Aufgabe von Cryan ist es nun, die Bank aus diesem Irrweg herauszuführen. Der Neuanfang kann nur gelingen durch eine radikale Umkehr.

Jain hatte sich den "Kulturwandel" zwar auf die Stirn geschrieben, doch er war der Falsche, um ihn umzusetzen. Im Grunde war die Bank auch in den vergangenen Jahren noch geprägt von der Händler- und Zockermentalität, vom Millionen-Boni-Denken. Für den neuen Chef geht es darum, davon wegzukommen. Das wird nicht gehen, ohne auch führende Köpfe auszuwechseln.

Das Institut braucht die Filialen auch, um wieder in der Gesellschaft verankert zu sein

Cryan steckt dabei in einem Dilemma, denn mehr als manch andere Großbank ist die Deutsche Bank inzwischen abhängig vom Investmentbanking. Er muss auch versuchen, die besten Leute zu halten, wenn er der Bank nicht zukünftige Gewinnchancen nehmen will. Eine seiner Aufgaben ist es auch, gutes Investmentbanking von schlechtem zu unterscheiden. Gutes Investmentbanking ist solches, das eine dienende Funktion für eine Volkswirtschaft und seine Unternehmen hat, schlechtes Investmentbanking ist solches, in dem Handeln um des Handelns und der Boni willen stattfindet.

Und dann braucht die Deutsche Bank auch eine Strategie, wie sie mit ihren kleinen und größeren Privatkunden umgeht, wie sie dort künftig profitabel sein will. Die Postbank wird verkauft, das eigene Filialnetz stark beschnitten. Das allein ist noch keine Zukunftsstrategie, sondern eher Folge der Tatsache, dass zuletzt die Investmentbanker das Sagen hatten. Im Nachhinein fragt man sich zum Beispiel, ob es richtig war, dass Privatkunden-Vorstand Rainer Neske, Jains größter Gegner im Vorstand, fortgetrieben wurde, kurz bevor Jain selbst gehen musste.

Ohne ein starkes Privatkundengeschäft ist die Deutsche Bank nicht denkbar. Sie braucht die Filialen und den Kontakt zu den Kunden auch, um wieder herzustellen, was ihr abhandengekommen ist: die Verankerung in der Gesellschaft. Der Brite Cryan, der im Unterschied zu Jain Deutsch spricht, muss auch beweisen, dass er das verstanden hat.

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