Kommentar:Ein Konzern als Beute

Es reicht nicht, die Schuld für den Abgasskandal bei Martin Winterkorn und ein paar Technikern abzuladen. VW braucht vielmehr eine von Grund auf neue Kultur - und das betrifft vor allem das enge Verhältnis von Politik, Familie und Gewerkschaften.

Von Ulrich Schäfer

Derzeit geht es bei VW vor allem um eine Frage: Wer wusste wann was? Doch in Wahrheit geht es um eine andere, sehr viel größere Frage - und sie hat nicht allein damit zu tun, welcher Ingenieur wann eine Software für gut befunden hat und welcher Vorgesetzte diese genehmigt hat. Nein, das entscheidende Problem liegt sehr viel tiefer. Es geht um die Frage: Wer hat bei VW wie viel Macht?

Der (für ein paar Wochen) größte Autobauer der Welt wird von drei Interessengruppen beherrscht: der Eigentümer-Familie Porsche/Piëch, dem Land Niedersachsen und der Gewerkschaft IG Metall. Diese dominieren den Aufsichtsrat, im fünfköpfigen Präsidium sind sie gar ganz unter sich. Am Ende entschieden drei Gewerkschafter, ein SPD-Ministerpräsident und ein Familienmitglied, dass Winterkorn gehen muss. Das ist einerseits gut, weil es viel schneller ging als bei Siemens: Ehe in der Schmiergeld-Affäre an der Spitze Konsequenzen gezogen wurden, vergingen Monate; bei VW benötigte der Aufsichtsrat gerade mal zwölf Tage. Das ist andererseits schlecht, weil damit der Eindruck erweckt wurde, man müsse bloß im Vorstand und bei den Motoren-Expertenaufräumen. Aber sonst? Kann die Macht so verteilt bleiben wie bisher.

Doch das wäre fatal. Denn die verfehlte Führungskultur bei VW wurde ja nicht allein von Martin Winterkorn bestimmt - sondern sie wird seit Jahrzehnten geprägt von jenen, die den Konzern beherrschen und die ihn als ihre Beute behandeln. So kann bei VW niemand gegen den Betriebsrat agieren, der wie eine Art Schatten-Vorstand wirkt; es kann auch niemand gegen das Land Niedersachsen agieren, das ebenfalls sehr darauf bedacht ist, dass die Zahl der Stellen so hoch wie möglich ist (was die Produktion von Autos entsprechend teurer macht); und erst recht kann niemand gegen die Familie regieren. Man braucht sich, man profitiert voneinander, man tut sich gegenseitig nicht zu sehr weh - in so einem Klima können Skandale entstehen wie vor zehn Jahren, als man den Betriebsrat mit Lustreisen und Prostituierten umsorgte; oder wie nun beim Diesel. Die Entwickler griffen ja auch deshalb zu ihren Tricks, weil man anderswo (etwa beim Personal) keine Einsparmöglichkeiten sah und niemandem wehtun wollte.

Das soll und darf keine Entschuldigung sein für möglicherweise kriminelles Handeln oder für das Versagen von Führungskräften; das soll und muss aber ein Plädoyer dafür sein, jetzt nicht bloß schnell ein paar Schuldige zu benennen und dann so weiterzumachen wie bisher.

Nötig wäre stattdessen, den Konzern von Grund auf zu erneuern, in seiner gesamten Führungskultur; und dazu gehört eben auch, die allzu enge Bande zwischen Familie, Politik und Gewerkschaften zu lockern - und externen Sachverstand ins Unternehmen zu holen. Ein Anfang wäre gewesen, nun einen Aufsichtsratschef von außen zu holen. Einen Wolfgang Reitzle etwa, der von Autos etwas versteht, aber genug Abstand hat von dieser Branche. Oder einen Axel Weber, der als ehemaliger Bundesbank-Chef integer ist und schon bei der UBS aufgeräumt hat.

Stattdessen setzte die Familie durch, dass der ihr genehme VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch den Posten übernehmen soll. Land und Gewerkschaft machten, wenn auch widerwillig, mit - obwohl Pötsch selber Ärger mit den Ermittlern bekommen könnte, falls er als Finanzchef die Börsen zu spät über den Abgasskandal informiert haben sollte. Genau dieses Bestreben, unter sich zu bleiben, offenbart das ganze Problem namens VW.

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