Staatsfinanzen:Die schwarze Null muss stehen

Der Bund bekommt für seine zehnjährigen Anleihen Geld - wäre es da nicht eine gute Idee, viel mehr Schulden zu machen? Klingt zwar gut, wäre aber falsch und gefährlich.

Kommentar von Marc Beise

Schöner kann es kaum laufen für einen Finanzminister - sollte man meinen: Er kann Schulden machen ganz ohne Reue, er verdient sogar daran. So geht es derzeit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, und die Rede ist nicht von einer speziellen Finanzmaßnahme. Sondern ausgerechnet von der zehnjährigen Bundesanleihe, dem Flaggschiff des staatlichen Schuldenmanagements. An Anleihen kürzerer Laufzeit verdient der Bund schon länger, aber die Nachricht dieser Woche ist: Wer die bis August 2026 laufenden Wertpapiere kauft und also der Bundesrepublik Geld leiht, erhält eine negative Rendite, zahlt also drauf. Zum Vergleich: Wer 1981 eine Zehnjährige kaufte, bekam 10,75 Prozent Zinsen versprochen, heute bekommt er 0,05 Prozent abgezogen. Dennoch war die Nachfrage höher als das Angebot - ein Wahnsinn.

Deutschland steht gut da, weil es anderen schlecht geht

Diese Situation gab es noch nie, und natürlich gibt es eine Erklärung, oder besser zwei: die lockere Geldpolitik der großen Notenbanken der Welt, auch der Europäischen Zentralbank (EZB), die Staatsanleihen am Markt aufkauft und damit die Zinsen drückt - und die Attraktivität des boomenden Standortes Deutschland in einer zutiefst unsicheren Welt.

Damit ist die Ambivalenz der Lage eingefangen: Deutschland steht gut da, weil es anderen schlecht geht, und das ist keine beruhigende Situation. Wolfgang Schäuble mimt deshalb zu Recht weiter den knausrigen Kassenwart, lässt sich dafür sogar als "Auslaufmodell" beschimpfen, als einer, der die neue Zeit nicht mehr versteht und die Ökonomie sowieso nicht.

Muss ein kluger Rechner nicht, wenn der deutsche Staat Geld verdienen kann damit, dass er Schulden macht, noch mehr Schulden, also noch mehr Einnahmen generieren? Oder, allgemeiner formuliert: Muss der Staat sich nicht, wenn das doch so einfach ist, neu verschulden, um all die sozialen Probleme zu lösen, die es in diesem Land unbestreitbar gibt?

Griechenland als warnendes Beispiel

Die Antwort lautet: Nein - auch wenn das keinen Spaß macht. Weitere Ausgaben kommen nicht infrage, weil sie nicht nachhaltig wären. Weil der Staat über seine Verhältnisse leben würde. Was heute leicht zu finanzieren ist, wird morgen zur Garrotte am Hals des Staates. Griechenland etwa bekam nach dem Euro-Beitritt wegen unerwartet niedriger Zinsen Geld im Überfluss, blähte seinen Staatsapparat auf und landete im finanziellen Ruin.

Allerdings könnte man daran denken, dann wenigstens in die Zukunft zu investieren, also Geld für Dinge auszugeben, die sich später zurückzahlen: von der Integration der Flüchtlinge über die Bildung bis zur Infrastruktur. Warum nicht mehr Autobahnen sechsspurig ausbauen, die Bahn mit Geld zuschütten, Wohnungen im Akkord bauen und viele Milliarden Euro in die digitale Infrastruktur stecken?

Ja, das wäre gut - wenn es nicht schon längst gemacht werden würde. Es ist ja nicht so, dass das deutsche Ausgabensystem abgeschafft wäre, im Gegenteil. Nicht mal die Aussage, dass seit Jahren gespart werde, womöglich "kaputtgespart", stimmt. In Wirklichkeit sind die Ausgaben in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen, nach eigenen Angaben des Bundesfinanzministeriums von 260 auf 317 Milliarden Euro jährlich. 2020 werden fast 100 Milliarden Euro mehr ausgegeben werden als 2005. Die Flüchtlinge sind finanziert, Schäuble hat dabei sogar großzügig gerechnet und einen Puffer eingeplant, der Bund hat den Ländern Kosten abgenommen.

Großprojekte scheitern schon heute nicht am Geld

Worüber allerdings sehr wohl zu reden wäre, ist die Gewichtung der Ausgaben, ob nicht mehr Geld investiv statt konsumtiv verwendet werden muss und Subventionen zugunsten von allgemeinen Steuerentlastungen zu streichen sind - aber das wäre eine Verschiebung im System und damit ein anderes Thema.

John Maynard Keynes, der große Ökonom, hat gezeigt, dass der Staat in wirtschaftlich schlechten Zeiten Geld ausgeben muss, um die Wirtschaft anzukurbeln; das stellt kaum jemand ernsthaft infrage. Nur, es sind keine schlechten Zeiten heute, und wer nur mal auf die Straßen guckt, sieht das: Die Bauwirtschaft weiß gar nicht, wie sie den Aufträgen nachkommen soll. Wenn Projekte scheitern, dann nicht am Geld, sondern an Bürokratie und Bürgerprotesten.

Deshalb ist es richtig, wenn Schäuble trotz paradiesischer Zustände an den Finanzmärkten nicht neue Schulden macht, sondern alte Schulden abbaut. Das ist die beste Vorsorge für schlechteren Zeiten. "Die Null muss stehen" ist eine bekannte Trainerweisheit aus dem Fußball, heißt: Erst mal hinten keinen reinlassen, und sich dann um den Sturm kümmern. Übertragen auf die Finanzpolitik: Erst mal solide finanzieren, dann die Staatsaufgaben der Zukunft planen.

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