Kommentar:Die nächste Welle

Das Schnellste, der Schärfste, die Dünnste - auf Elektronikmessen jagt ein Superlativ den anderen. Doch die Vorgänger sahen recht ähnlich aus.

Von Helmut Martin-Jung

Das Internet bringt Menschen, Güter und Dienstleistungen zusammen. Die Digitalisierung der meisten Lebensbereiche führt zu einem grundstürzenden Wandel. Smartphones, die kleinen digitalen Wunderdinger, vereinen beides nicht nur, sie machen es auch nahezu überall nutzbar. Es ist also nicht übertrieben zu sagen, dass die Hosentaschen-Streichelcomputer die Welt verändert haben. Solche Erfindungen - ein Großteil des durchschlagenden Erfolges geht sicher auf das Konto der ehemaligen Computerfirma Apple - sind jedoch selten. Craig Mundie, ein hochrangiger Manager des Software-Konzerns Microsoft, sprach einmal von Zyklen, die etwa 15 Jahre dauern. Eine Entwicklung bahnt sich an, staut sich auf und bricht dann mehr oder weniger unvermittelt über die Welt herein.

Wer aber über eine Messe wie die Berliner Ifa schlendert, die noch bis diesen Mittwoch dauert, wer sich auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas oder dem Mobile World Congress in Barcelona umsieht oder wer einer der liturgieähnlichen Zeremonien Apples beiwohnt - ständig wird ihm suggeriert, der Sprung auf die nächsthöhere Ebene sei gelungen.

Mit der neuen Technik ist es wie mit dem Waschmittel, das jetzt noch weißer wäscht

Das Schnellste, der Schärfste, die Dünnste - ein Superlativ jagt den anderen. Und dabei ist es doch so: Die Vorgängermodelle sahen verdammt ähnlich aus, konnten fast dasselbe und waren nur minimal weniger schnell, scharf oder dünn. Über mehrere Gerätegenerationen hinweg ist es zwar schon beeindruckend, wie die Technik sich weiterentwickelt. Doch immer sind es nur Variationen der Ursprungsidee - fast ein bisschen so wie das Waschmittel, das jetzt noch weißer wäscht.

Kann man es der Industrie verdenken, dass sie Begeisterung wecken und hochhalten will? Nein, sie will ja schließlich die mit viel Aufwand entwickelten, oft mit Ausbeutung der Arbeiter und Umweltzerstörung hergestellten Produkte verkaufen. Andere Industriezweige machen es auch nicht anders. Ein Auto ist ein Auto ist ein Auto, und die heutigen sind zwar in vielerlei Hinsicht besser als die vor 40 Jahren, aber nicht um Längen besser als ihre unmittelbaren Vorgänger.

Das führt zu zwei Folgerungen und einer Frage. Erstens: Auch wenn die Tech-Konzerne noch so gekonnt den Haben-wollen-Instinkt zu reizen wissen - man muss wirklich nicht unter einem Stein leben, aber ohne das allerneueste technische Gadget geht es auch. Ganz bestimmt. Mit Technikhass oder gar -phobie hat das nichts zu tun, dafür aber sehr viel mit Maß und Vernunft.

Zweitens: Auf die Dauer werden die Hersteller es zu spüren bekommen, dass sie ihre hochtrabenden Versprechen nur bedingt einhalten können. Sogar beim Kultobjekt iPhone ließ der Reiz zuletzt merklich nach. Wie es dem Konzern mit seinem neuen besten Handy aller Zeiten geht, wird man übrigens von Mittwochabend an erahnen können. Dann stellt Apple es in Kalifornien vor.

Die Frage ist da nicht mehr allzu schwer zu erraten. Es ist die Frage, die sich alle Tech-Firmen stellen: Was wird das nächste große Ding? Was löst die nächste der großen Wellen aus? Viel ist darüber schon gemutmaßt worden, und es gibt auch aussichtsreiche Kandidaten. Dass eher unbemerkt von den Menschen immer mehr Maschinen miteinander kommunizieren, wird oft genannt.

Aber könnte es nicht auch etwas anderes sein, etwas wie künstliche Intelligenz? Schon vor vielen Jahren haben sich Forscher daran versucht, ohne großen Erfolg. Auch jetzt wird man vielleicht nicht befürchten müssen, dass die Maschinen den Menschen schon bald in seiner ureigenen Disziplin schlagen, auch wenn manche das vorhersagen und sogar davor warnen. Aber die Kunsthirne könnten doch schon relativ viele Jobs übernehmen, die eher monoton sind, und so die Arbeitswelt durcheinanderwirbeln. Die Anfänge dazu sind längst gemacht. Das selbstfahrende Auto wird es eher nicht sein, aber auch diese von Computern und Sensoren gesteuerten Fahrzeuge können ihren Job nicht machen, wenn sie nicht in ein Internet der Dinge eingebunden sind.

Es könnte aber auch sein, dass nichts von alledem die Evolution der Technik auf die nächste höhere Stufe hebt, sondern eine unvorhersehbare Erfindung oder Entwicklung, aller Wahrscheinlichkeit nach eine digitale. Wie es auch kommt, die Gesellschaft muss in jedem Fall dafür sorgen, dass die digitale Spaltung nicht vertieft wird, die Kluft also zwischen denen, die sich in der neuen Welt zurechtfinden und auskennen, und denen, die etwa als Tagelöhner der Digitalkonzerne das erledigen, was Maschinen noch nicht können. Noch nicht.

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