Kommentar:Die Filiale wird nicht sterben

Immer mehr Bankfilialen schließen - läuft bald alles nur noch übers Internet? Ganz so radikal wird es nicht kommen.

Von Harald Freiberger

Die Bankfiliale war ein nicht unwesentlicher Teil des deutschen Wirtschaftswunders. Von den 1950er-Jahren an überzogen Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken das Land mit Niederlassungen. Auf dem Höhepunkt, Anfang der 1990er-Jahre, gab es in der Republik mehr als 70 000 Zweigstellen. Jedes Dorf hatte seine Bank, und in den Städten breiteten sich auf zentralen Plätzen oft fünf oder sechs Institute aus.

Mit dieser Banken-Herrlichkeit ist es längst vorbei. Die Zahl der Niederlassungen hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als halbiert. Heute gibt es noch etwa 31 000 Filialen. Und wer die Nachrichten der letzten Tage verfolgt, der muss glauben, was Experten prophezeien: Dass sich die Zahl in den nächsten zehn Jahren noch einmal halbieren kann. Die Deutsche Bank, die im Jahr 2008 die Postbank mit ihren etwa 15 Millionen Kunden übernahm, will diese offensichtlich wieder loswerden; die Entscheidung im Aufsichtsrat dürfte an diesem Freitag fallen. Die noble blaue und die einfache gelbe Bank haben nie richtig zueinander gepasst. Die scharfe Regulierung nach der Finanzkrise erschwerte der Deutschen Bank zusätzlich das Geschäft. Nun zieht sie die Konsequenzen.

Die Bankendichte ist in Deutschland doppelt so hoch wie in Großbritannien

Die Zukunft der Postbank ist ungewiss. Gewiss aber scheint zu sein, dass sich die Zahl ihrer Niederlassungen nicht erhöhen wird. Auch bei der Deutschen Bank selbst dürfte es zu einem starken Abbau kommen. Die Rede ist davon, dass ein Drittel ihrer 750 Niederlassungen geschlossen werden könnte.

Sie befindet sich damit in guter Gesellschaft. Das Institut, das derzeit den radikalsten Weg geht, ist die Hypo-Vereinsbank. Sie verringert die Zahl der Filialen um fast die Hälfte auf 340. Sie will die Kunden in "Online-Filialen" locken, wo sie per Video oder Telefon mit Beratern reden. Die Commerzbank hat das Netz nach der Fusion mit der Dresdner Bank im Jahr 2008 von 1600 auf 1100 ausgedünnt. Auch bei Sparkassen oder Volks- und Raiffeisenbanken werden immer wieder Filialen geschlossen und verschmolzen.

Der harte Wettbewerb, die niedrigen Zinsen, die verschärfte Regulierung und der Trend zum Onlinebanking haben die Geschäftsmodelle der Institute unter Druck gesetzt. Wie ernst die Lage ist, zeigt eine Warnung der Bundesbank, die sich über Jahrzehnte mit Ratschlägen zur Geschäftspolitik der Institute zurückhielt. Nun aber ermuntert ihr Vorstand Andreas Dombret die Banken, "angesichts der Digitalisierung und des demografischen Wandels über die Größe ihrer Filialnetze nachzudenken". Sie müssten Kosten senken, es dürfe "keine Tabus geben".

Das Filialnetz ist in Deutschland trotz des Rückgangs der vergangenen Jahre immer noch deutlich dichter als in anderen Ländern. Pro 2200 Einwohner gibt es eine Bankfiliale, in Großbritannien etwa sind es 4300.

Der Bedeutungsverlust der Filiale hat stark mit dem Siegeszug des Onlinebankings zu tun: Kunden überweisen Geld vom heimischen PC aus oder fragen den Kontostand per Smartphone ab. Das einfache Bankgeschäft ist schon fast komplett ins Internet gewandert.

Aber es gibt noch das kompliziertere Bankgeschäft, und hier liegt die Zukunft der Filiale. Sie wird wichtig bleiben, um den Kontakt zum Kunden zu halten und um ihm Produkte zu verkaufen. Baufinanzierungen oder Altersvorsorge wollen viele Kunden nach wie vor mit dem Berater besprechen. Es wird immer Kunden geben, die das persönliche Gespräch suchen und darauf Wert legen, dass ihnen in der Bank bei der Beratung jemand in die Augen schaut.

Eine Umfrage zeigte jüngst, dass für zwei Drittel der Bankkunden die Nähe zu einer Niederlassung wichtig für die Auswahl ihrer Hausbank ist. Der Abgesang auf die Filiale ist übertrieben. Allerdings müssen die Banken ihre Filialen besser auf die Bedürfnisse der Kunden zuschneiden. Einige können eher die Atmosphäre von Lifestyle-Läden verströmen, andere sich auf einen Schreibtisch in einem Einkaufszentrum beschränken.

Banken werden auch in Zukunft einen Anker in der realen Welt brauchen. Und dieser Anker ist die Filiale. Es ist sogar vorstellbar, dass Direktbanken ein grobes Filialnetz aufbauen. Auch Onlinekunden legen Wert darauf, bei bestimmten Themen direkt mit einem Berater reden zu können. Mit Zweigstellen in zentraler Lage der 20 größten deutschen Städte können sie einen Großteil der Bevölkerung abdecken. Aber es braucht sie nicht an jeder Ecke. Die Bundesbürger werden es künftig weiter haben, wenn sie einen Berater zu Gesicht bekommen wollen. Die Filiale wird nicht mehr in jedem Dorf und in jedem Stadtteil zum Straßenbild gehören.

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