Kommentar:Die Crash-Gefahr wächst

Der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, müsste angesichts der Übertreibungen an der Börse den Finger heben und warnen. Tut er das, würden die Kurse einbrechen. Demonstrativ weitermachen wie bisher, ist allerdings auch keine Lösung.

Von Markus Zydra

Alan Greenspan soll in der Badewanne über eine Rede sinniert haben, als ihm Mitte der 1990er-Jahre diese zwei Wörter in den Sinn kamen: "Irrational Exuberance". Man kann diese Phrase mit "unvernünftiger Überschwang" übersetzen. Für den damaligen amerikanischen Notenbankchef schien das eine treffende Charakterisierung der Börsenstimmung jener Tage zu sein, weil die Aktienkurse sehr hoch gestiegen waren. Die Börsen fassten das eine ganze Weile als ernste Warnung auf.

Greenspan brach damals ein ungeschriebenes Gesetz. Notenbanker, so die Regel, sollten Märkte sich selbst überlassen. Die Anleger würden auf ihr Geld schon selbst gut aufpassen. Zudem, so die Überzeugung, erkenne man eine Preisblase erst dann, wenn sie platze.

Die Warnung vor "unvernünftigem Überschwang" ist an den Finanzmärkten in den letzten 20 Jahren zum geflügelten Wort geworden. Immer dann, wenn die Euphorie an den Börsen um sich greift, ist es ein Gebot der Vernunft, an Greenspans berühmteste zwei Wörter zu erinnern. So auch dieser Tage.

Der deutsche Aktienindex Dax hat mit über 12 000 Punkten einen neuen Rekordstand erreicht. Auch im Rest Europas klettern die Kurse, obwohl das Wirtschaftswachstum der Euro-Zone diese rasante Preisentwicklung nicht rechtfertigt.

Doch wenn der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, am Mittwoch seine 24 Kollegen zur geldpolitischen EZB-Ratssitzung trifft, dann wird die mögliche Eruptionsgefahr, die von den Börsen ausgeht, kein großes Thema sein. Das verwundert ein wenig, denn Draghi hat sich in der Vergangenheit der schlimmsten Gefahren für die Euro-Zone angenommen. Sei es, dass er die Währungsunion vor dem Kollaps bewahrte, Europas Banken vor der Pleite und die Wirtschaft vor der Rezession.

Doch an der Börse die Gefahr einer Preisblase bannen - da fühlt sich Draghi nicht zuständig.

Die EZB kommt an ihre Grenzen. Die Regierungen der Eurozone müssen jetzt übernehmen

Dieses demonstrative Wegschieben ist bemerkenswert, da die Geldpolitik der EZB der Hauptgrund dafür ist, dass die Aktienmärkte abheben. Der Leitzins liegt mit 0,05 Prozent so niedrig wie nie. Daher werfen Zinsanlagen nichts mehr ab. Zudem kauft die EZB seit März Staatsanleihen der Euro-Zone. Bis September 2016 sollen so 1,1 Billionen Euro in den Markt gepresst werden. Die Nachfrage der EZB drückt die Renditen der Staatspapiere immer tiefer, was die Lage weiter verschärft.

Früher konnten Pensionskassen, Versicherer und Fonds mit sicheren Staatsschuldscheinen ordentliche Zinsprofite erwirtschaften. Das ist vorbei. Bei vielen Anleihen müssen die Vermögensverwalter sogar draufzahlen, als eine Konsequenz des Negativzinsphänomens.

Die Lebensversicherer und Fonds sind daher durch die Geldpolitik der EZB faktisch gezwungen, so viele Milliarden wie möglich in den Aktienmarkt oder in riskante Unternehmensanleihen zu schleusen. Nur so haben die Profianleger überhaupt eine Chance, die versprochenen Renditen zu erwirtschaften. Der Herdentrieb ist zurück.

Die EZB möchte mit den niedrigen Zinsen und dem Ankauf der Staatspapiere die Realwirtschaft ankurbeln. Banken sollen an Unternehmen billige Investitionskredite vergeben können. Das ist gut. Doch schlecht ist, dass mit dem billigen Geld Spekulation forciert wird. Man kriegt das eine nicht ohne das andere.

Die Situation ist pikant, weil die EZB im November 2014 auch die Bankenaufsicht über Europas wichtigste Kreditinstitute übernommen hat. Draghi hat nun zwei Hüte auf. Die Geldpolitik der EZB soll die Euro-Zone mit billigem Geld versorgen. Die Bankenaufsicht der EZB zwei Türen weiter muss ihrerseits versuchen, die Kreditinstitute Europas vor einem Börsencrash abzuschotten.

Doch selbst wenn die Großbanken dieses Mal nicht mitzocken, auch unregulierte Fonds - von denen es im Schattenbanksektor genügend gibt - können einen Börsencrash auslösen und einen globalen Finanzkollaps auslösen. Die Pleite des Hedgefonds LTCM hat das 1998 eindrücklich bewiesen. Eine Börsenpanik schadet allen, auch den Unternehmen der Realwirtschaft.

Eigentlich müsste Draghi den Greenspan geben und warnen. Doch wenn er das jetzt täte und womöglich den Staatsanleiheankauf vorzeitig stoppt oder gar eine Zinserhöhung ankündigt, würden die Börsenkurse einbrechen. Setzt er die lockere Geldpolitik aber fort, endet das sehr wahrscheinlich auch mit einem Crash. Die Euro-Retter von der EZB stecken in einer Ecke fest, aus der sie ohne Schaden allein nicht herauskommen. Die Regierungen der Euro-Zone müssen übernehmen.

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