Kommentar:Der heilsame Öl-Schock

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Gegen hohe Ölpreise hilft vor allem eines: den Verbrauch senken. Schon kleine Änderungen bei der Nachfrage führen oft zu großen Preisausschlägen.

Von Gerd Zitzelsberger

Erinnerungen werden wieder wach an Sonntagsfahrverbote, an die Einführung der Sommerzeit und an geschlossene Schulen. Denn das Öl hat sich seit Jahresanfang um fast 70 Prozent verteuert.

Es ist derzeit so knapp, wie man es in der modernen Industriegeschichte nur einmal zuvor - nach der Revolution in Iran im Jahre 1979 - erlebt hat.

Eine Höchstmarke von 55 Dollar pro Barrel hat den vierten Ölpreis-Schock seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Nimmt man die Ölschwemme des Jahres 1998 zum Vergleich, dann hat sich der Preis seitdem vervierfacht.

Es ist kein Wunder, dass Politiker wie jetzt der französische Finanzminister Nicholas Sarkozy hektisch Gegenmaßnahmen vorschlagen. Dies mag die Popularität der Erfinder vergrößern. Das Problem aber werden sie nicht über Nacht lösen.

Die Kapazitäten reichen nicht

Für die Verbraucher wird kein Weg an der Einsicht vorbeiführen, dass man die Milch vielleicht nicht mit dem Auto holen muss, sondern auch zu Fuß gehen kann, und dass sich die Heizung auch ein Grad niedriger einstellen lässt.

Sparsamer Energieverbrauch ist das wirksamste Mittel gegen die hohen Öl-Preise. Schon kleine Änderungen bei der Nachfrage führen oft zu überproportionalen Ausschlägen beim Preis.

In einem Punkt unterscheidet sich der vierte Ölpreis-Schock wesentlich von den vorherigen: Diesmal ist das globale Öl-Angebot zwar auch alles andere als reichlich.

Aber ein zweiter Engpass kommt hinzu: Die Raffinerien sind weltweit zu klein oder es sind zu wenige, um die Nachfrage nach Benzin, Heizöl, Diesel oder Kerosin voll befriedigen zu können.

Um einen möglichst hohen Ausstoß zu erzielen, setzen die Mineralöl-Konzerne deshalb vorzugsweise hochwertiges, schwefelarmes Rohöl ein. Das schlechtere Öl dagegen bringen die Fördergesellschaften nur mit Mühe an den Mann.

Auch die Marktpreise zeigen, wenn man genauer hinschaut, dass die knappen Raffinerie-Kapazitäten zu den hohen Öl-Preisen beitragen: Die Notierungen für schweres, saueres Rohöl sind deutlich geringer gestiegen als die für die hochwertigen Sorten Brent und WTI. Diese beiden Sorten aber stehen gewissermaßen im Schaufenster und fungieren als Barometer für den ganzen Markt.

Im Ergebnis bedeutet das unter anderem, dass die Mineralöl-Konzerne heute nicht zuletzt dafür enorme Gewinne einstreichen, dass sie die Dynamik der Nachfrage falsch eingeschätzt und Investitionen unterlassen haben.

Öl — das neue Gold

Raffinerien zu bauen, ist teuer und braucht seine Zeit. Und wohl niemand würde dafür plädieren, dass Regierungen sich jetzt als Raffinerie-Unternehmer betätigen. Worauf Politiker wie Sarkozy eher zielen, sind Maßnahmen, die kurzfristig Wirkung zeigen könnten.

Im Blickpunkt stehen dabei die Öl-Vorräte der Verbraucherländer. Diese Reserven gelten mittlerweile schon als ein Tempelschatz wie früher das Gold der Bundesbank.

Die Dachorganisation der großen Verbraucherländer, die Internationale Energie-Agentur (IEA) in Paris, lehnt es strikt ab, dass die Regierungen ihre Öl-Vorräte verkaufen, um die Preise zu beeinflussen.

Aus ihrer Sicht dienen die Vorräte als letzter Notanker, falls es zu Unterbrechungen bei den Lieferungen vom Golf, aus Russland oder aus Afrika kommen sollte. Im Grundsatz die gleiche Position vertritt auch Washington.

Die Regierung Bush hat selbst in der Vorwahlzeit bei kräftig steigenden Preisen ihre strategische Reserve sogar noch aufgestockt und damit die Knappheit auf den Märkten verschärft.

Hilflose Politik

Doch selbst wenn Sarkozy mit seinem Vorschlag zum Verkauf von Vorräten Verbündete in anderen Ländern findet, fällt der Handlungsspielraum der Politiker nicht allzu groß aus. In den Mitgliedsstaaten der IEA lagern zwar insgesamt Öl-Vorräte, die der Importmenge von 111 Tagen entsprechen. Doch der größte Teil davon entfällt auf Vorräte, die den Mineralöl-Gesellschaften gehören.

Regierungen könnten auch deren Einsatz im Fall einer echten Krise anordnen. Aber sie können nicht darüber verfügen, um den Ölpreis von 55 auf 50 Dollar zu drücken.

Die Vorräte, die den Regierungen selbst in allen IEA-Ländern zusammen gehören, belaufen sich nur auf das Importvolumen von etwa 40 Tagen, und davon wiederum entfällt nur ein Teil auf Fertigprodukte.

Dennoch lohnt es sich, über den Sarkozy-Vorschlag nachzudenken. Denn gegenwärtig ist das Öl am teuersten, das sofort verfügbar ist. Öl dagegen, das erst in Monaten auf dem Markt kommt, wird zu niedrigeren Preisen gehandelt.

Die Verbraucherländer könnten also erwägen, Öl aus den Reserven per sofortiger Lieferung zu verkaufen und gleichzeitig mit Öl, das gerade erst aus dem Bohrloch kommt, die Vorräte mittelfristig wieder aufzustocken.

Ein wirkliches und schnell wirkendes Heilmittel gegen die hohen Preise aber kennt auch Sarkozy nicht. Doch das muss er vielleicht gar nicht: Die hohen Preise sind die beste Mahnung, dass die Öl-Vorkommen nicht unerschöpflich sind und sich zunehmend auf politisch unsichere Gegenden der Erdkugel konzentrieren. Sie sind eine Mahnung, dass die Politik auf eine allmähliche Abkehr vom Öl als Schmierstoff der Wirtschaft abzielen muss.

© SZ vom 22.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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