Türkei:Die deutsche Wirtschaft muss Erdoğans Politik endlich anprangern

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Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: AP)

In der Türkei legt ein Präsident die Demokratie in Schutt und Asche. Die deutschen Unternehmen schweigen - und schaden sich damit selbst.

Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gehörte zu den Organisationen der Wirtschaft, die keine Bange haben, ihre Interessen laut kundzutun. Gerade forderte der BDI "eine konsequente Fürsprache" der EU-Staats- und Regierungschefs für die wackelnden Handelsabkommen mit den USA und mit Kanada. Oder BDI-Präsident Ulrich Grillo verlangt von der Regierung in Berlin "den Abbau von Handelsbeschränkungen", um eine sichere Versorgung der Wirtschaft mit Rohstoffen zu sichern. Zu einem viel wichtigeren politischen Thema dagegen hatte der BDI keine Forderung: zum Thema Türkei.

In dem aufstrebenden Staat an der Nahtstelle von Orient und Okzident legt gerade der Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Demokratie in Schutt und Asche. Er errichtet eine Diktatur und hebelt die Prinzipien von Freiheit und gesellschaftlicher Offenheit aus; und das in einem Land, das sich auf dem Weg in die EU gesehen hatte. Ein Land, dessen größter Handelspartner Deutschland ist.

Mal wieder tut die Wirtschaft so, als ginge sie die Politik nichts an

Es ist bedrückend, dass sich die Bundesregierung mit Kritik an Erdoğan zurückhält. Auch aus Brüssel hört man vergleichsweise wenig. Und die Wirtschaft murmelt bestenfalls: Erdoğan werde seinem Land Schaden zufügen. Es würden weniger Touristen ins Land kommen, die Investitionen würden zurückgenommen. BDI-Präsident Grillo orakelt, die Türkei werde ihre Freunde verlieren: "Ohne Partner wird die weitere wirtschaftliche Modernisierung des Landes nicht gelingen." Das ist zu wenig.

Mal wieder tut die Wirtschaft so, als ginge sie die Politik nichts an, als hätten Auslandsgeschäft und staatliche Rahmenbedingungen nichts miteinander zu tun, wie sie es schon im Falle von China hält und wie sie es früher mit anderen Diktaturen auch gemacht hat. Sie hofft, in der Türkei weitermachen zu können wie bisher. Die meisten Unternehmer wollen sich nicht politisch äußern, aus Angst um die Geschäfte.

Doch die sind längst gefährdet. Erdoğans Gegenputsch sorgt bereits dafür, dass Kapital abfließt, dass die Währung fällt und Investitionen für längere Zeit zurückgehen werden. Erdoğan schadet nicht nur seinem Volk, er zerstört auch die Perspektiven der ausländischen Unternehmen in der Türkei. Deutsche Firmen haben dort neun Milliarden Euro investiert, deren Zukunft unsicher ist.

Unternehmer mögen keine Sanktionen, sie schätzen ökonomische Reaktionen auf politische Vorgänge nicht, weil sie Gewinne kosten können. Wenn Sanktionen dann verhängt werden, wie zuletzt im Falle Russlands, folgen sie nur zähneknirschend. Aber sie folgen, weil sie den Primat der Politik über wirtschaftliches Handeln anerkennen, wenn auch oft unwillig. Im Falle der Türkei liegen die Dinge anders. Es gibt keine klare Haltung der Bundesregierung über den Umgang mit Erdoğan. Berlin nimmt viel Rücksicht auf die Türkei, weil sie den Partner Ankara nicht verprellen will. Daher ist jetzt die Wirtschaft erst recht in der Pflicht, Erdoğans Politik anzuprangern.

Was sich anbahnt: eine Gesellschaft der Unterdrückung und der Stagnation

Das mag eine ungewohnte Rolle für Unternehmen und Verbände sein. Aber es kann nicht angehen, dass sich die Unternehmer stets darauf beschränken, allein für die Geschäfte zuständig zu sein und die Moral den Politikern zu überlassen. Die Wirtschaft muss erkennen, dass sie selbst ein Interesse an demokratischen Verhältnissen in der Türkei hat. Nur eine moderne Türkei, wie sie sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmend gezeigt hat, ist für ausländische Lieferanten und Investoren interessant. Nur eine moderne Türkei könnte einen Zugang zum EU-Binnenmarkt in Anspruch nehmen. Nur eine moderne Türkei verspricht deutschen Unternehmen gutes Geschäft.

Was sich jetzt in der Türkei anbahnt, ist eine Gesellschaft der Unterdrückung und der Stagnation, wenn nicht sogar des Rückschritts. Ein solches Land ist kein vielversprechender Zukunftsmarkt. Es gibt keinen Grund für Unternehmer, auf einen Mann wie Erdoğan Rücksicht zu nehmen in der Hoffnung auf goldene Zeiten. Die deutsche Wirtschaft kann mit Kritik an den Verhältnissen in der Türkei nur gewinnen. Sie muss sogar bereit sein, ungewohntes Terrain zu betreten und die Bundesregierung zu eindeutigen politischen Reaktionen gegenüber dem neuen Diktator zu bewegen. Daran hat sie ein starkes eigenes Interesse.

Zudem könnte die Wirtschaft Punkte machen und sich von dem hässlichen Image befreien, ihr seien die politischen Verhältnisse in einem Land egal, so lange nur die Geschäfte liefen. Und nicht zuletzt gilt auch für Unternehmen, was für jeden Staatsbürger gilt: Wer zu Missständen schweigt, macht sich mitschuldig.

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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