Kommentar:Das große D

Deutschland hat die erste Halbzeit im Spiel um die digitale Zukunft deutlich verloren. Gelingt jetzt die Aufholjagd?

Von Guido Bohsem

Wenn über die großen Zukunftsthemen diskutiert wird, dreht sich fast alles um die beiden großen Ds, Demografie und Digitalisierung. Selbst der Zustrom der Flüchtlinge wird unter anderem mit dem Argument begrüßt, dass sich dadurch die Altersstruktur der Gesellschaft verbessere. Die Flüchtlinge könnten verhindern, dass die deutsche Gesellschaft gleichzeitig altert und schrumpft, heißt es immer wieder.

Die Digitalisierung, der zweite gewaltige Transformator der Gegenwart, droht dabei in den Hintergrund zu treten. Der lange geplante Kabinettsgipfel wurde abgeblasen, die digitale Agenda der Bundesregierung geriet angesichts der aktuellen Geschehnisse zur Nebensache. Wieder einmal. Das sollte man bedauern, weil Politik immer und überall auch über Symbole funktioniert.

Allein der Umstand, dass die Bundesregierung eine Klausurtagung zur Digitalisierung abhält, hätte dem Thema eine größere Aufmerksamkeit beschert und ins Bewusstsein gerückt, dass es hier wirklich viel zu tun gibt, will Deutschland nicht den Anschluss verlieren und in zwanzig Jahren als verlängerte Werkbank einer vergoogleten Weltwirtschaft dastehen.

Vielleicht war es aber dann doch ganz gut so, dass die Flüchtlinge das Thema Digitalisierung von der Tagesordnung verdrängt haben. Denn bei Licht betrachtet, hat die Bundesregierung nicht viel zusammengebracht, was sie hätte vorzeigen können. Gemessen an der Bedeutung, die das Thema für die Zukunft des Landes hat, ist das Ergebnis der bisherigen Bemühungen ziemlich mager. Von Initiativen, die eine Aufbruchsstimmung vermitteln, ist nur wenig zu spüren. Von einer Kampfansage an die übermächtige Konkurrenz aus dem Silicon Valley noch weniger.

Was die Bundesregierung zu bieten hat, mutet vielmehr kleinteilig und zögerlich an. Der Finanzminister sieht ein, dass die von ihm geplante Besteuerung von Streubesitz das Zeug hat, den Boom der Technologie-Start-Ups zunichte zu machen, bevor er richtig anrollt. Nachdem sogar die eigenen Finanzpolitiker gegen das Vorhaben protestiert hatten, will Schäuble nun Ausnahmen schaffen, damit die Geldgeber der jungen Unternehmen und sogenannten Business Angels verschont bleiben. Schäuble führt also eine Steuer ein und spendiert als "Förderung" eine Steuerbefreiung von derselben Steuer. Den Wagniskapitalgebern soll es nicht schlechter gehen als derzeit. Das Problem ist, es wird ihnen auch nicht besser gehen. Sie erhalten keine Förderung.

Der Verkehrsminister immerhin müht sich um Schlagzeilen. Alexander Dobrindt (CSU) hat die Internationale Automobilausstellung IAA genutzt, um mit großen Worten seine "Strategie zum automatisierten und vernetzten Fahren" vorzustellen. Allerdings ist nur wenig davon wirklich greifbar: Selbstfahrende Autos zum Beispiel dürfen künftig 130 Stundenkilometer statt wie bislang nur zehn schnell sein. Das aber ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man nicht die ganze A9 lahmlegen will, auf der demnächst der Testbetrieb für das automatisierte Fahren so richtig losgehen soll.

Deutschland hat die erste Halbzeit im großen Zukunftsspiel deutlich verloren

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich ein echtes Problem vorgenommen, in das Verbraucher, Rechte-Inhaber sowie eine ganze Reihe von Abmahn-Kanzleien hoffnungslos verstrickt sind: die Störerhaftung. Der Verbraucher kopiert und verbreitet Musik und Filme, ohne dafür zu bezahlen. Der Rechte-Inhaber wehrt sich und beauftragt die Kanzleien damit, die Verbraucher mit übertrieben hohen Schadenersatz-Forderungen zu kujonieren. Findet sich kein direkter Schuldiger, machen die Anwälte einfach denjenigen verantwortlich, der den drahtlosen Internetanschluss betreibt.

Diese Störerhaftung sorgt dafür, dass Deutschland dem Rest der Welt hinterherhinkt, was die Zahl der öffentlich zugänglichen Hotspots angeht. Gabriels Vorschlag dürfte allerdings wenig zur Lösung des Problems beitragen. Und nicht nur das, er ist angetan, neue innovative Technologien zu verhindern, wie zum Beispiel das Bezahlen mit dem Handy in Geschäften und Supermärkten.

Deutschland hat die erste Halbzeit im Spiel um die digitale Zukunft deutlich verloren. Nun geht es darum, die zweite Halbzeit zu gewinnen. Richtig ist, wenn Kanzlerin Angela Merkel sagt, das Land habe gute Chancen. Allein, sie müssen ergriffen werden, nicht nur von der Wirtschaft, auch von der Bundesregierung.

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