Kommentar:Das Fillon-Paradox

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François Fillon mag mit seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen geeignet sein. Doch er ist der Falsche für das französische Präsidentenamt, denn in Wirklichkeit spaltet er.

Von Leo Klimm

Ein resoluter Reformer will François Fillon sein. Kein Zauderer wie Noch-Präsident François Hollande, der den Franzosen Veränderungen in Wirtschaft und Sozialstaat am liebsten nur zumutet, wenn sie nichts davon mitbekommen. Fillon dagegen - der Favorit in der Vorwahl der französischen Konservativen am Sonntag und damit auch für die Hollande-Nachfolge im Mai - tritt mit einem ehrgeizigen Programm an. Es soll seit Jahrzehnten verschleppte Reformen nachholen. Kann Frankreich etwas Besseres passieren?

Ganz bestimmt. Denn um Fillon kristallisiert sich ein Paradox: Mag sein Programm in vielen Punkten das Richtige sein, um die Wirtschaft des Landes wieder dynamisch zu machen und Unternehmen zu stärken, so ist der Mann doch der Falsche. Der Blick auf die anstehende Präsidentenwahl, gerade der Blick aus Deutschland, kann sich nicht auf die seit Jahren ungeduldig gestellte Frage verengen, wer wohl zur wirtschaftspolitischen Modernisierung Frankreichs fähig ist. Die Reformkraft des künftigen Präsidenten hängt auch von anderen Dingen ab.

Es geht bei dieser Wahl um die Ausrichtung des Landes insgesamt. Und es geht um Psychologie: Der Kandidat der Konservativen muss auch für die Mitte und für die gemäßigte Linke wählbar sein, um ein allzu starkes Ergebnis der Rechtsextremen Marine Le Pen zu verhindern und zugleich eine möglichst breite Legitimation zu erhalten. Diese Bedingung erfüllt Alain Juppé, Fillons Gegner in der Stichwahl am Wochenende. Der gesellschaftspolitisch stramm konservative Biedermann Fillon hingegen spaltet gezielt. Frankreich braucht einen Wirtschaftsreformer, der die im Land durchaus vorhandene Bereitschaft zur Veränderung nutzt. Aber keinen Spalter, der eine wegen Terror und Fremdenangst ohnehin hoch nervöse Gesellschaft weiter entzweit.

Was Fillon wirtschaftspolitisch anbietet, kann Frankreich großteils vertragen. Es liest sich wie ein Katalog all der Dinge, die seit 25 Jahren liegen geblieben sind, als Fillon wie Juppé teils Premierminister waren, während andere Länder reformierten. Die Senkung der Staatsausgaben um 100 Milliarden über fünf Jahre, das heißt um knapp zehn Prozent: vertretbar bei einer Staatsquote von 56 Prozent. Die Streichung von 500 000 Beamtenstellen: machbar; sie bedeutet, dass nur jede zweite frei werdende Stelle nachbesetzt wird. Die Rente mit 65: keine Zumutung für die Franzosen, die mit die höchste Lebenserwartung haben. Die Senkung von Abgaben: nicht übertrieben angesichts hoher Lohnnebenkosten. Ein flexibleres Arbeitsrecht: einen Versuch wert in einem Land, das mit rigiden Regeln wenig Erfolg im Kampf gegen Erwerbslosigkeit hat.

Bei näherem Hinsehen unterscheiden sich die Wirtschaftsvorschläge von Fillon und Juppé oft nur in Nuancen. Fillon ist im Übrigen kein lupenreiner Liberaler. Eher französischer Souveränist alter Schule: Er sieht Freihandel und Europa skeptisch, zur Ankurbelung der Konjunktur will er EU-Sparauflagen ignorieren.

Zugleich möchte er sich als radikal abheben, etwa, indem er die Gewerkschaften isoliert, anstatt sie durch Übertragung von Verantwortung einzubinden. Überhaupt vergisst Fillon, ein Angebot an die Verlierer seiner Reformen zu machen. Am meisten aber polarisiert er in der Gesellschaftspolitik, wenn er sich gegen die Homo-Ehe wendet oder Terrorverdächtigen die Staatsbürgerschaft aberkennen will.

Unterscheiden die Rivalen wirtschaftspolitisch nur Nuancen, kommt es umso mehr auf die Personen an. Als Vertreter eines rechtskatholischen Frankreich kann Fillon bei der Vorwahl im eigenen Lager punkten. Für die Präsidentenkür, wenn er Mitte-links-Wähler braucht, wird diese Positionierung zur Hypothek. Auch seine Methode, den Beschäftigten von Firmen wie des öffentlichen Diensts Einschnitte ohne Dialog aufzuzwingen, wird Stimmen kosten. "Cassons la baraque!" - "Lasst uns die Bruchbude niederreißen", lautet einer der Fillon-Slogans. So gewinnt man kein breites Reformmandat.

Juppés Ansatz verspricht mehr Erfolg. Er will nur eine Amtszeit Präsident bleiben. Das kann ihm mehr Mut verleihen, Reformen tatsächlich umzusetzen, als einem, der auf die Wiederwahl schielt. Juppé setzt auch mehr auf Dialog und Ausgleich. Doch wie es aussieht, wird Fillon die Vorwahl gewinnen. Sollte er es danach auch in den Elysée-Palast schaffen, wird er erst einmal die Spaltung überwinden müssen, die er angerichtet hat.

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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