Kommentar:Bremst die Quartalsjunkies

Max Hägler

Im schnellen Drei-Monats-Takt müssen sich Manager ihre Ziele präsentieren - viel zu häufig, viel zu schnell. Gut Ding braucht Weile.

Von Max Hägler

Es ist verstörend. Die Fixierung der Wirtschaft auf kurzfristige Gewinne erinnert an das Lechzen eines Junkies nach dem nächsten Schuss. Diese Kritik stammt nicht etwa von einem marktkritischen Marxisten - sondern von Paul Polman, der als Unilever-Chef Herr über Marken wie Bifi, Rama, Domestos und Duschdas ist. Doch so recht er hat, war er bisher eine einzelne Stimme in der atemlosen Wirtschaftswelt, bei der im Vierteljahrestakt über Wohl und Wehe von Konzernen entschieden wird. Passt die Gewinnprognose in den Quartalszahlen, dann ist alles fein. Andernfalls sind Anleger "enttäuscht" und im Unternehmen gilt der Krisenmodus, samt hastigen Sparprogrammen. Infrage gestellt haben diesen Mechanismus bislang wenige Firmenvorstände - niemand will Aktionäre und ihr Kapital vergrätzen.

Insofern ist bemerkenswert und erfreulich, dass nun ausgerechnet die Chefs von einigen der größten US-Konzerne gegen diesen scheinbar unverrückbaren Takt des Kapitalismus aufbegehren und auf Entschleunigung dringen. "Unsere Finanzmärkte sind mittlerweile zu besessen von vierteljährlichen Gewinnprognosen", heißt es in einem Konzept, das unter anderem die Chefs der Bank JP Morgan, des Autobauers GM und des Industriekonzerns General Electric unterzeichneten. Diese Besessenheit, so die Topmanager, stehe dem langfristigen Unternehmenserfolg entgegen. Ihr Ziel: Wenigstens ein Jahr halbwegs in Ruhe arbeiten, bis dann die Abrechnung kommt, mit der Zwölfmonatsbilanz und der Hauptversammlung der Aktionäre.

Manager sagen, sie würden gern mehr in E-Autos investieren. Aber die Börse bremse sie

Nun mögen Kritiker einwerfen, dass Quartalsberichte denjenigen Transparenz bieten, die das Geld zum Arbeiten zur Verfügung stellen. Ein berechtigter Einwand. Wer Geld gibt, soll wissen, was damit passiert. Doch ist fraglich, ob der Takt dabei hilft. Zum einen müssen Börsenunternehmen bei gravierenden Abweichungen von ihren Prognosen sowieso Meldung geben. Und Analysten sind ständig mit den Unternehmen in Kontakt. Dazu passt, dass auch Starinvestoren Warren Buffett das Papier unterzeichnete. Zum anderen zeigt eine der größten Börsenkrisen, dass Quartalsberichte nicht vor Fehleinschätzungen bewahren: Die IT-Scheinriesen des Neuen Marktes schrieben vor 15 Jahren alle ihre Quartalsmeldungen, bis viele scheiterten. Der Informationswert ist also begrenzt.

In manchen Branchen sind diese Berichte geradezu schwachsinnig. Der Handel etwa lebt vor allem vom Weihnachtsgeschäft, die anderen Quartale sind schwächer. In der Autoindustrie wiederum kann man derzeit mit schöner Zuverlässigkeit Vorstände und Aufsichtsräte, gerade die progressiv denkenden, in trübselige Stimmung bringen. Man muss nur mal fragen, wieso die Entwicklung der Elektroautos in Deutschland so langsam vorangehe. Ach, sagen sie dann oft, wir könnten schon mehr leisten, wenn wir mehr investieren würden. Aber die Börse würde das nicht goutieren, schieben sie hinterher, denn das sind ja keine Ausgaben, die sofort Gewinn bringen werden. Nur eine Schutzbehauptung? Nun, auch vier Fünftel ihrer US-Kollegen erklärten, Forschungsausgaben zugunsten hübscher Quartalszahlen zu opfern. Und Studien zeigen, dass die Furcht in den Unternehmen vor Kapitalabfluss und einem schlechten Kurs berechtigt ist. So gaben Investoren bei einer Umfrage der Bank of England an, dass kurzfristige Gewinne für sie "in erheblichem" Maß relevanter seien als langfristige.

Also nehmen wir den Junkies ihren Stoff weg und lassen die Manager ein wenig in Ruhe arbeiten. Es wird selten schaden, gilt doch: Gut Ding braucht Weile.

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