Soziale Gerechtigkeit:Das Steuergeld hilft Bürgern, die nicht bedürftig sind

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Es braucht endlich eine echte, große Umverteilung - zugunsten der Armen. (Foto: dpa-tmn)

Die Politik der Bundesregierung hat mit Umverteilung wenig zu tun. Sie hilft der Mittelschicht, aber die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter auseinander. Manager, die Millionenboni kassieren, müssen endlich mitzahlen.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Kann man es der zum vierten Mal gewählten Bundeskanzlerin abnehmen, dass sie "schon erstaunt" sei über die Zuwachsraten von Managergehältern, wie sie am Abend nach ihrer Wiederwahl gesagt hat? Es fällt schwer. Einmal, weil sie es in den vergangenen zwölf Jahren Amtszeit nie anders erlebt hat. Und, vor allem, weil sie in dieser Zeit als Regierungschefin nicht dadurch aufgefallen ist, gegen die Exzesse wirklich vorzugehen.

Im Gegenteil, in den letzten Koalitionsverhandlungen widersetzte sich die Union der SPD-Forderung, die steuerliche Absetzbarkeit von Boni zu begrenzen. Es sind Widersprüche wie dieser, die den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier dazu bewogen haben mögen, den neuen Großkoalitionären zum Start eine Mahnung mitzugeben. Bitte kein Weiter so, warnte er. Jetzt kommen Bewährungsjahre für die Demokratie.

Steinmeier griff das Gefühl vieler Bürger auf, wonach die Einkommens-Schere zwischen Armen und Reichen weiter weit auseinanderklafft und sich niemand um sie kümmert. Die Debatten um die Tafeln, Hartz-IV-Bezüge und Manager-Boni befeuern diese Sorgen. Nur, leider deutet bisher wenig darauf hin, dass die Großkoalitionäre verstanden haben, dass sie auf Bewährung regieren.

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Die Sorge speist sich aus drei Hinweisen, die fast zeitgleich an die Öffentlichkeit drangen. CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn wies Hartz-IV-Bezieher zurecht, den Steuerzahlern, die die staatliche Grundsicherung finanzieren, nicht noch mehr auf der Tasche zu liegen. VW-Chef Matthias Müller strich trotz Dieselbetrugsskandal mehr als zehn Millionen Euro an Vergütungen für 2017 ein, wobei der Staat hier bewusst auf beträchtliche Steuereinnahmen verzichtet. Genau das aber empfinden die Bürger als ungerecht. Die Steuereinnahmen, auf deren Begrenztheit Spahn hinweist, wenn es um Bedürftige geht, halten er und die CDU andererseits für verzichtbar, wenn Konzerne sie zahlen sollen.

Und, drittens, haben die Parteichefs einen Regierungsvertrag unterschrieben, der finanzielle Wohltaten wie Baukindergeld, Sonderabschreibungen, freie Kitaplätze und Mütterrente enthält - die weitgehend an die Mittelschicht gehen. Sechsundvierzig Milliarden Euro sollen zusätzlich umverteilt werden. Das entspricht ungefähr der Summe, die der Staat im vergangenen Jahr für Hartz-IV-Leistungen ausgegeben hat.

Die Politik der Bundesregierung hat mit Umverteilung wenig zu tun

Es fällt auf, dass die Bundesregierung eine Politik der Umverteilung betreibt, die grob zusammengefasst drei Grundsätzen folgt. Bedürftige sollen sich beschränken. Superreiche und Konzerne werden verschont. Die Mittelklasse verteilt das Gros der Steuereinnahmen unter sich um, nach dem Motto: wer selbst Steuern zahlt, soll auch etwas heraus kriegen. Mit wirklicher Umverteilung hat das wenig zu tun. Die Gräben zwischen arm und reich werden eher tiefer denn flacher. Und so läuft die Debatte auf die fundamentale Frage hinaus, was der Anspruch des Sozialstaates wirklich ist.

Ein knappes Drittel des Bruttoinlandsproduktes von insgesamt 3227 Milliarden Euro hat Deutschland 2017 für soziale Leistungen ausgegeben. Lediglich 45 Milliarden Euro davon entfielen auf jene Bürger, die Spahn bittet, mehr Rücksicht auf die Steuerzahler zu nehmen. Der übergroße Teil des Geldes wird für Leistungen an die Mittelschicht ausgegeben, vom Elterngeld über Rentenzuschüsse bis hin zu Versorgungsleistungen für Beamte. Die neue Regierung macht genau so weiter. Noch mehr Mütterrente, kostenlose Kita-Plätze, Baukindergeld - das Steuergeld geht an Bürger, die nicht bedürftig sind. Keine Familie entscheidet sich für den Hausbau, weil es 1 000 Euro pro Kind gibt.

So freigiebig, wie der Staat das Geld der Steuerzahler an diese zurückverteilt, so knausrig zeigt er sich, wenn es um die wirklich Bedürftigen geht. Penibel rechnet er bis auf den Cent vor, wie viele Euro monatlich für Essen, Trinken und kulturelle Teilhabe ausreichen müssen. Besonders krass wirkt diese Rechnerei im Lichte der Großzügigkeit im Umgang mit Boni-Zahlungen. Wie viel genau dem Fiskus dadurch entgeht, ist nicht beziffert. Grob gerechnet, dürften es von jeder Million Euro an Boni um die dreißig Prozent sein. Dass sich hier das Gefühl der Ungerechtigkeit breit macht, ist zwangsläufig.

Steinmeier hat Recht daran getan, vor dem Weiter so zu warnen. Jetzt muss die Regierung zeigen, dass sie die Bewährung verdient hat. Dazu gehört, den Anspruch des Sozialstaates zu prüfen. Soziale Leistungen sollten verstärkt denen zukommen, die sie brauchen. Und Manager müssen selbstverständlich mitzahlen.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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