Kommentar:Billige Schuldumkehr

Verrottetes Fleisch, giftiges Obst - dafür trägt der Verbraucher die Verantwortung. Sagen Handel und Produzenten. Doch das ist Unfug.

Hans von der Hagen

Einkaufen gehen, heißt ratlos sein. Da mögen die Informationen auf Lebensmitteln umfassend sein wie nie zuvor, doch manch interessante Details werden dem Verbraucher vorenthalten: Was in diesem Produkt könnte, in entsprechender Menge verzehrt, krank machen?

Da ist es fast egal, an welches Regal sich der Kunde begibt, überall lauert etwas: Antiobiotika in Fisch und Fleisch, Schimmelpilzgifte in Pistazien, Gewürzen und Kaffee, Schwermetalle in dunkler Schokolade und Karotten, Spritzmittel in Obst und Gemüse, Acrylamid in Knabberartikeln und Getreideprodukten. Von problematischen, aber legalen Zusatzstoffen ganz zu schweigen.

Lautlose Kritik

Manch ein Verbraucher wiegt sich in der diffusen Sicherheit, dass irgend jemand mal kontrolliert haben müsse, was hierzulande so angeboten wird. Gibt es doch die amtliche Lebensmittelkontrolle.

Die überprüfen auch in Stichproben. 80.000 werden etwa in Bayern Jahr für Jahr gezogen. Im Supermarkt ebenso wie beim fliegenden Händler. Doch dabei geht es nur in Ausnahmefällen um bestimmte Produktchargen, sondern vielmehr um das Gesamtbild, um die Übersicht, wie es um die Qualität der in einem bestimmten Bundesland angebotenen Produkte steht.

Kritik von der Lebensmittelüberwachung ist freilich selten vernehmbar. Von den Ergebnissen erfährt der Verbraucher eigentlich nur dann etwas, wenn er auf den Webseiten der Kontrolleure gezielt nachschaut. Darum: Ein Kunde sollte grundsätzlich davon ausgehen, dass kein unabhängiger Überwacher ein Blick auf das geworfen hat, was irgendwo angeboten wird.

Was also soll der Käufer machen? Nur an der Bio-Theke kaufen? Das ist für viele Verbraucher und besonders Familien nicht bezahlbar. Oder sie stehen vor dem seltsamen Dilemma, entweder mehr Grünzeug aus herkömmlicher Produktion zu essen oder weniger aus biologischem Anbau.

Doch was ist abseits der Bioregale? Soll sich ein Kunde da am Preis orientieren? Ist das namenlose Produkt von minderer Qualität als die Markenware? Oder steckt womöglich in beiden Verpackungen die gleiche Ware desselben Herstellers? Überhaupt: Ist Markenware denn weniger belastet?

Preisversagen

Auf all diese Fragen bekommt der Verbraucher keine Antwort, schon gar nicht, wenn er nur auf den Preis schaut. Der Preis liefert keinerlei Anhaltspunkt über die mögliche Belastung von Nahrungsmitteln.

Und gerade weil die Signalfunktion des Preises hier versagt, gilt auch nicht das Argument der Hersteller und Händler, der Kunde trage aufgrund seiner Sparmentalität die Schuld an der schlechten Produktqualität selbst.

Natürlich wollen Kunden möglichst wenig ausgeben. Nur: Wenn ihnen keiner sagt, ob das günstigere Produkt tatsächlich die schlechtere Wahl ist und sie zu einem diffusen "das können sie sich ja denken" verdonnert werden, ist ihnen nicht geholfen. Und dem Handel auch nicht.

Die Lebensmittelüberwachung setzt und viele Kunden hoffen auf die Eigenverantwortung der Hersteller. Die Praxis zeigt, dass das nicht reicht.

Das belegt auch die jüngste Greenpeace-Studie zur Belastung von Obst und Gemüse, selbst wenn diese manche Fragen offen lässt: Nicht nur Billig-Anbieter Lidl kommt darin schlecht weg, sondern auch die schweizerische Migros, die vergleichsweise hohe Preise am heimischen Markt durchsetzen kann und die Fahne verantwortungsvollen Handelns besonders hoch trägt.

Die Studie dokumentiert aber auch, was geht: Die großen Handelsketten haben die Marktmacht, um von ihren Lieferanten die Einhaltung bestimmter Standards zu verlangen. Das zeigt nicht nur das Unternehmen Aldi, das in der Untersuchung vergleichweise gut abschneidet.

Noch deutlicher wird es am Beispiel der österreichischen Rewe-Tochter Billa. Die bemüht sich dezidiert um Pestizid-Reduktionen und lässt ihre Obst- und Gemüselieferanten von einer unabhängigen Umweltorganisation kontrollieren.

Erst solche Aktionen geben dem Verbraucher ein gewisses Maß an Sicherheit und zeigen ihm, wo er tatsächlich preis-wert einkaufen kann.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: