Kommentar:Aus dem Schatten heraus

Neue Dokumente legen nahe: Der Zulieferer Bosch wusste von den Manipulationen bei VW mehr als bisher bekannt. Das kann für ihn und die ganze Branche gefährlich werden.

Von Thomas Fromm

Von Anfang an wurde die Sache so erklärt: Hier der Zulieferer Bosch, der, ohne es zu wissen, Technologie für einen der größten Umweltschwindel aller Zeiten liefert. Auf der anderen Seite der Hersteller Volkswagen, der diese Technologie einbaut, anpasst, verändert - und dann irgendwann scharf stellt. Hier die kreuzbraven Ingenieure, die nur ihren Job machen. Dort die Trickser.

Das klang gut für Bosch. Kann man den Erfinder des Schießpulvers dafür verhaften, wenn irgendwo auf der Welt jemand mit einem Sturmgewehr um sich schießt? Natürlich nicht. Was also konnte Bosch dafür, wenn sein Kunde VW die ihm ins Haus gelieferte Software nutzte, um bei Millionen Autos weltweit die Abgasmessungen zu manipulieren?

Es war allerdings ein allzu simples Erklärungsmuster, und es kippt gerade. Sollte Bosch viel stärker in den VW-Abgasskandal verwickelt sein als bisher gedacht, dann wären die Folgen gravierend. Dieselgate, das war bisher vor allem eine VW-Affäre. Wenn es aber zutrifft, dass der weltgrößte Zulieferer über das Treiben beim weltgrößten Autokonzern zumindest Bescheid wusste, dann wäre dies eine neue Dimension.

Papiere legen nahe: Der VW-Skandal ist nahe an den Lieferanten herangerückt

Der Skandal, der als VW-Affäre begann, ist inzwischen gefährlich nahe an den Zulieferer herangerückt.

Brisante Passagen einer Klageschrift von US-Klägern legen nahe, dass Bosch weitaus mehr Verantwortung im VW-Abgasskandal trägt als bislang angenommen. Die Vorwürfe der Kläger wiegen schwer: Die Schwaben sollen jahrelang Entwicklung und Einsatz ihrer Software fest im Blick gehabt haben. Ohne sie soll bei der Software, mit deren Hilfe VW die Abgasmessungen seiner Dieselmotoren fälschte, nichts gegangen sein.

Wenn das so ist, dann hatte Bosch weitgehend die Kontrolle über seine Software.

Die Ingenieure sollen sogar gewusst haben, dass ihre Kreation in den USA verboten war. Dass sie 2008 vom Kunden Volkswagen forderten, mögliche Haftungsrisiken für die trickreiche Software zu übernehmen, lässt tief blicken. Braucht man solche Garantien wirklich, wenn man seinen Job mit gutem Gewissen gemacht hat?

Hier die Lieferanten, die auf Befehl liefern, da die großen Strategen der Autoindustrie, die sich Gedanken darüber machen, wie sie die immer strengeren Abgasauflagen einhalten können? Von wegen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass Zulieferer und Autohersteller, jeder für sich, nebeneinander her arbeiten. Und es ist naiv, anzunehmen, dass hochsensible Produkte wie eine Software zur Motorsteuerung von A nach B verkauft werden, ohne dass A über die weitere Entwicklung informiert wäre. Eine Motorsteuerung ist kein Frühstückstoaster, und Volkswagen ist nicht irgendein Kunde.

So steht die Frage im Raum: War Bosch Mitwisser oder sogar Komplize bei den illegalen Motortricks? Es gilt natürlich die Unschuldsvermutung; Bosch weist die Vorwürfe zurück. Ein Schuldeingeständnis wie bei Volkswagen gibt es von den Schwaben nicht. Die Kläger aber liefern E-Mails, Briefe und interne Dokumentationen, Material also, das über den Stand von Gerüchten und wilden Annahmen hinausgeht.

Ihre Anwälte werden nun nicht locker lassen.

Für Bosch ist die Schonfrist abgelaufen. Der Zulieferer, der in der Dieselaffäre monatelang im Schatten von VW stand, ist nun aus dem Schatten heraus. Es droht ein langjähriger Rechtsstreit in den USA, am Ende könnten hohe Strafen stehen. Für den Konzern ist das ein dramatisches Szenario, denn das Geschäft eines Zulieferers hängt an seinen Produkten, vor allem aber auch am Vertrauen in der Branche. Sollte sich herausstellen, dass Bosch mit seinem Großkunden VW gemeinsam den Dieselskandal produziert hat, wäre dies ein schwerer Schlag für den Konzern und sein Geschäft.

Daher muss Bosch die Sache so schnell wie möglich aufklären und sich erklären. Wie eng waren die Ingenieure der beiden Konzerne wirklich, als es darum ging, eine Motorsteuerung zu entwickeln, mit deren Hilfe man die strengen Stickoxid-Grenzen in den USA zumindest auf dem Papier einhalten konnte?

Längst geht es nicht mehr nur um die Zukunft von VW und Bosch, es geht um den Ruf und die Zukunft einer ganzen Branche. Bosch ist ein Zulieferer, der Milliarden mit seinem Dieselgeschäft verdient und auf dessen Kundenliste nicht nur die Wolfsburger stehen, sondern auch viele andere aus dem In- und Ausland. Dies sollte man in der Bosch-Zentrale nicht unterschätzen. Man könnte auch sagen: Wenn das Feuer von VW auf Bosch überspringt, droht der Branche ein gefährlicher Flächenbrand.

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