Kommentar:Arbeitgeber, auf die Barrikaden!

Dr. Beise, Marc

Die deutsche Wirtschaft mischt sich verstärkt in die Flüchtlingsdebatte ein. Das ist gut so und legitim, aber es reicht nicht aus.

Von Marc Beise

Sprecher der deutschen Wirtschaft mischen sich verstärkt in die Flüchtlingsdebatte ein. Sie fordern eine Willkommenskultur und bessere Regeln für mehr Zuwanderung. Kritiker halten das für ein durchsichtiges Spiel, denn den Unternehmen gehe es vor allem um Arbeitskräfte. Bloß nicht loben, heißt es dann, alles bloß Eigeninteresse. Na und?

Dass Unternehmer für ein weltoffenes Land plädieren, ist in der Tat nicht überraschend angesichts der eigenen Exportlastigkeit, die auf offene Märkte und Austausch angewiesen ist. Es wäre natürlich geschäftsschädigend, wenn eine der größten Handelsnationen der Welt die Schotten dicht macht. Und dennoch gehört die Einmischung in dieses heikle Thema zum Besten, was die Wirtschaft an gesellschaftlichem Engagement zu bieten hat. Dass Eigeninteresse im Spiel ist, ist gerne willkommen. Eigeninteresse ist in der Marktwirtschaft, in der sich die Prozesse von unten entwickeln sollen und nicht von oben vorgegeben werden, eine starke Triebfeder. Deshalb ist es auch nicht verwerflich, wenn Unternehmen hoffen, Migranten zur Schließung der Facharbeiterlücke nutzen zu können. Bedeutender sind die übergeordneten Folgen der Appelle. Sie sichern die moralisch motivierte Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung mit ökonomischer Begründung ab. Man wird noch erleben, wie wichtig das ist. Denn die derzeit viel gerühmte Großmütigkeit der Deutschen, die man heute im Unterschied zu früheren Asyldebatten beobachten kann, stößt angesichts der hohen Zahl der Neuankömmlinge bereits an ihre Grenzen. 180 000 Asylanträge allein im ersten Halbjahr, 500 000 erwartete Flüchtlinge für das Gesamtjahr - selbst grüne Kommunal- und Landespolitiker, die sich moralisch gerne über jeden Zweifel erhaben wähnen, knicken reihenweise ein. Je mehr Fremde kommen, desto heikler wird die Stimmung werden. Dann wird es erst richtig wichtig sein, dass und wie sich die Wirtschaft engagiert. Dann aber muss sie auch zeigen, wie ernst sie es meint. Sie muss sauber argumentieren. Dass Flüchtlinge mehr bringen als kosten, klingt gut, ist aber leicht zu widerlegen. Die alltäglichen Kosten werden immer größer, die Städte ächzen unter der Last, dagegen ist der wirtschaftliche Vorteil für Unternehmen eine eher theoretische Größe. Bis die Menschen wirklich integriert sind, wird viel Zeit vergehen, wird viel Mühe nötig sein. Wichtig ist es, immer wieder deutlich zu machen, dass die Anstrengung sich lohnt; hier hat das Wort der Wirtschaft Gewicht. Und dieses Engagement muss nachhaltig sein. In guten Zeiten sind Worte wohlfeil. Was sie wirklich wert sind, wird sich zeigen, wenn die Atmosphäre kippt. Wenn Arbeitgeber gegen die Stimmung in ihren Betrieben argumentieren müssen, gegen abgrenzende Parolen aus konservative Parteien, denen sie üblicherweise nahestehen. Dann muss die Wirtschaft auch zeigen, dass sie nicht nur fordern kann, sondern auch handeln. Wo sind die leer stehenden Fabrikgebäude, die umgebaut werden - auf Kosten der Unternehmen? Wo die Ausbildungswege für Flüchtlinge, die man zum Abitur führt und ihnen das Studium bezahlt? Wo die Deutschkurse in den Betrieben für junge Leute, die später Lehrlinge werden sollen? Wo die Unternehmer in den Talkshows, die "Volkes Stimme" widerstehen? Und die ihren deutschen Mitarbeitern erklären, warum im Interesse aller diesmal die Flüchtlinge vorgehen? Die Arbeitgeber können sich schon darauf vorbereiten, dass sie bald auf die Barrikaden müssen, um für eine stärkere Wirtschaft zu kämpfen, aber auch für eine bessere Welt.

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