Kolumne "Silicon Valley":Moderne Helden

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Mehr Tech-Größen als je zuvor halten in diesem Jahr die begehrten Reden vor amerikanischen Uni-Absolventen. Einer warnt sie vor der Bürde ihrer Generation.

Von Alina Fichter

Vieles spricht dafür, sich für ein Studium in den USA zu entscheiden, wenn man das Fälligkeitsdatum dafür noch nicht überschritten hat: Man wird ganz nebenbei Sachkundiger des amerikanischen Bankensystems, denn Amerikaner lernen auf Kredit. Man darf am letzten Tag einen Hut in die Luft werfen. Und ein prominenter Mensch erklärt einem, wovor man sich da draußen in Acht nehmen muss und warum zuletzt doch alles gut werden wird (so ist das nämlich in den USA).

Die Amerikaner nennen diese Zeremonie Commencement, den Beginn, obwohl sie am Ende des Studiums stattfindet. Derzeit ist wieder Hochsaison - mit einer Besonderheit: Nie zuvor hielten so viele Prominente aus der Technologie-Welt des Silicon Valley die Commencement-Reden wie in diesem Jahr. Sie sind die Helden von heute, vor denen Absolventen ihre Hüte lüften wollen. Und obwohl wenige Unternehmens-Chefs so von sich selbst überzeugt sind wie die Tech-Bosse, tragen sie ein Thema auf die Vorplätze der Universitäten und, weil heute per Youtube und Facebook alles öffentlich ist, auch in die Welt: Sie warnen vor der Technologie, die sie selbst erschaffen haben - oder vor der, die Konkurrenten erschufen.

Steve Blank, 64, ist der unbekannteste unter diesen Berühmtheiten, obwohl er zu den einflussreichsten Menschen im Silicon Valley gehört: Laut Harvard Business Review ist Blank einer von weltweit zwölf "Masters of Innovation", weil er mit Lean Start-up eine Methode erfand, die unzählige Start-ups heute anwenden. Er ist Multiunternehmer und Multimillionär. Aber so ist das eben: All das reicht im Valley nur zu ein bisschen Berühmtheit. Dennoch dürfte Blanks Botschaft als Einzige überdauern.

Von Facebook waren in dieser Commencement-Saison gleich zwei moderne Helden gefordert. Geschäftsführerin Sheryl Sandberg sprach über die Rolle von Frauen in der Tech-Industrie und Resilienz - und vermarktete so ganz nebenbei ihre beiden Bücher. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg forderte das bedingungslose Grundeinkommen - vor und von Harvard-Absolventen, denn irgendjemand müsste die teure Idee ja finanzieren. Zuckerberg will mit dem Grundeinkommen jene Menschen unterstützt wissen, die ihren Job verlieren werden, wenn künstliche Intelligenz diesen demnächst billiger erledigt. Gleichzeitig investiert Facebook massiv in KI, um unerwünschte Inhalte auf der Plattform zu erkennen, etwa Fake News, für deren Verbreitung es stark kritisiert wird.

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) liegt nur zehn Minuten von Harvard entfernt. Apple-Chef Tim Cook trug dort die unförmigste Mütze aller erwähnten Redner. Er sagte, ihm mache nicht die KI Angst - sondern Facebook. Das formulierte er natürlich etwas eleganter: Manchmal seien soziale Medien antisozial, sagte er, und "manchmal entfernt uns die Technologie voneinander, die uns eigentlich verbinden will." Facebooks Firmenmotto lautet "Verbindet euch".

Während also zwei Tech-Größen scharmützelten, welche Technologie die gefährlichere sei, hielt Steve Blank an der Dalhousie Universität die Commencement-Rede des Jahres. Zugegeben, er hat Erfahrung: Es war seine vierte Rede mit Hut und eine davon gehört laut Radiosender NPR zu den besten der vergangenen 325 Jahre. Vielleicht löst die diesjährige sie ab: "Was hätte ich wohl zu jungen Menschen gesagt, die lebten, als die Schrift erfunden wurde oder die Druckerpresse?", so begann Blank - und klang dabei demütiger und ratloser als seine Silicon-Valley-Kollegen. "Welchen Rat soll ich Menschen geben, die etwas erleben, das niemand je zuvor erlebt hat? Ob Ihr wollt oder nicht: Ihr steht genau an dieser außergewöhnlichen Schwelle menschlicher Entwicklung."

Die sozialen Medien verändern die Kommunikation wie einst der Buchdruck

Wie die Absolventen kommunizierten, interagierten und sich vernetzten sei einzigartig in der Geschichte der menschlichen Spezies, so Blank - mit unendlich vielen Daten, zum Teil automatisiert über Chatbots, schneller, ja, ununterbrochen. 200 Mal gucken sie im Schnitt täglich auf ihr Smartphone. "Deshalb denkt und verarbeitet ihr Dinge anders als eure Eltern, Großeltern und alle anderen Menschen, die je gelebt haben", sagte Blank.

Er weiß, wovon er spricht: Er ist 40 Jahre älter als seine Zuhörer. Zuerst war das Wort, dann die Schrift, die Druckerpresse, schließlich Zeitung, Radio, Fernsehen. Das Internet mit den sozialen Medien sei die siebte Welle der Kommunikation, sagte Blank, und diese verändere die Gehirne der Menschheit erneut. Tatsächlich hat der österreichische Nobelpreisträger Eric Kandel nachgewiesen, dass jede Kommunikationsform sich im Gehirn niederschlägt. Und der Philosoph Herbert Marshall McLuhan erforschte, wie der Buchdruck im 15. Jahrhundert die menschliche Wahrnehmung und Gemeinschaft veränderte: Millionen Bücher bescherten Menschen, die gerade noch Analphabeten gewesen waren, eine Informationsexplosion. Daher fürchteten sich manche vor Büchern und verteufelten sie.

Nun steht die Menschheit also wieder an einer Schwelle. Für die 20-Jährigen sei eine Nachricht glaubwürdig, weil sie vielen Freunden gefalle, und nicht mehr, weil die New York Times sie veröffentlicht habe, so Blank. Bestätigung ist die neue Währung. Er hat verstanden, dass die Absolventen die Welt grundsätzlich anders wahrnehmen als seine Generation. Damit baut er gedanklich ein Dach über die Säulen der Technologiekritik, die Cook und Zuckerberg lose hingestellt haben.

Er sagt: Nur wenige Generationen waren in der Position, darüber entscheiden zu können, wie eine Kommunikationsrevolution die Menschheit verändern wird. "Ihr zieht nun los mit einer unglaublichen Chance und einer immensen Verantwortung." Ob zuletzt wieder alles gut enden wird, lässt Blank offen.

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