Kolumne "Silicon Valley":Das Tal und die Moral

Kolumne "Silicon Valley": undefined

Tech-Größen wie Facebook und Google wollen plötzlich ethisch verantwortlich handeln. In Wahrheit haben sie Angst um ihre Profite. Ein guter Zeitpunkt für die Politik, mitzugestalten.

Von Alina Fichter

Der Ruf des Nerds hat sich in wenigen Jahren radikal verändert: vom einsamen Pickelgesicht zum global vernetzten Genie. Abiturienten wollen nicht mehr Banker oder Berater werden, sondern Programmierer. Weil die es sind, die gestalten, wie wir leben, heute, da das Internet mit allem verbunden ist und alle mit dem Internet. Die Nerds sind es, die entscheiden, was wir als Nächstes im Netz brauchen werden, sie bestimmen, was zulässig ist und wo die Grenzen liegen. Sie haben die Macht im Internet - und damit über die Gesellschaft; und sie wollen die Welt, wie sie heute ist, völlig verändern. Über die Folgen ihres Tuns sollen sich andere Gedanken machen. So war das bisher.

Dann kam Donald Trump.

Seit er US-Präsident ist, finden neue Begriffe Eingang in den Wortschatz der Nerds im Silicon Valley, das berühmt dafür ist, die großen Technologieunternehmen hervorgebracht zu haben: Apple, Google, Facebook. "Tech-Ethik" hört man da plötzlich - Verantwortung, Moral. Zwar gibt es zwischen San Francisco und Santa Cruz kaum Experten dafür: Philosophen und andere Menschen, die kein sechsstelliges Google-Gehalt beziehen, können sich die Wohnungspreise auf dem teuersten Landstrich der USA kaum leisten. Aber es ist gut, dass eine Debatte unter den Programmierern begonnen hat. Solange ihnen das Feld nicht alleine überlassen wird.

Es gibt nämlich ein paar Dinge, die den Silicon-Valley-Bewohnern das Nachdenken über die Moral erschweren: Jeder Gründer und Angestellte ist davon überzeugt, mit dem eigenen Start-up die Welt zu verbessern, selbst wenn die App nur Dokumente sortiert. Was genau "besser" heißt, legt der Chef fest. Die Verbesserung gilt jedenfalls nie allen: Ein typisches Valley-Start-up will das Geschäftsmodell mindestens einer bestehenden Branche angreifen, die das meist nicht so gut findet. Das Start-up ignoriert deren Bedenken - oder mildert sie mit Hilfe der richtigen Verbündeten und einer Menge Geld.

Das Valley feiert den als Genie, der eine neue Idee hat, mit der er Bestehendes zerstört und die er zu exponentiellem Wachstum vorantreibt, um Milliarden zu erreichen. Und Milliarden zu machen. Aggression ist eine Tugend, Angriff die Grundhaltung. Kritiker dieses Vorgehens werden als hinterwäldlerisch belächelt oder als fortschrittsfeindlich abgetan. Im Valley herrscht also eine Kultur, die Empathie mit Außenstehenden und Verlierern verhindert. Deshalb ist manchmal die Rede vom Empathieloch im Silicon Valley.

Das sind nicht die besten Voraussetzungen, um dort einen neuen Ehrenkodex für die Tech-Branche zu schaffen. Und doch ist der notwendig. Denn derzeit wird schlicht hergestellt, was technologisch möglich ist. Aber nicht alles, was gebaut werden kann, sollte auch gebaut werden. Und dass ein Unternehmen ein sympathisches Ziel hat, heißt noch nicht, dass seine Mittel moralisch sind.

Die Nerds gestehen sich ein, dass ihre Algorithmen nicht neutral sind

Zum Beispiel Facebook, das seinen zwei Milliarden Nutzern gute Unterhaltung beim Scrollen durch die Timeline bieten will, damit sie lange bleiben und viel Werbung sehen. Bloß: Das hat Facebook zuletzt auch durch das Verbreiten von Fake News erreicht. Ist das Unternehmen aus Mountain View mitverantwortlich an Trumps Wahl? Ein bisschen, steht im Weißbuch, das Facebooks Team für globale Bedrohungsszenarien vergangene Woche veröffentlichte: Die Plattform sei von Regierungen dafür "missbraucht" worden, öffentliche Meinungen in anderen Ländern zu manipulieren. Gemeint ist: Russland hat mithilfe des sozialen Netzwerks versucht, die Präsidentschaftswahlen in den USA zu beeinflussen. Facebook stellt sich in dem Papier als Opfer dar. Unternehmenschef Mark Zuckerberg schreibt darin aber auch von seiner "Verantwortung, das Gute zu verstärken und das Schlechte zu schwächen". Verantwortung übernehmen. Das ist neu. Dagegen hat man sich bisher gewehrt. Und Zuckerberg ist nicht alleine. Google hat in einem Blogeintrag angekündigt, die Autovervollständigungsfunktion seiner Suche künftig besser vor Manipulationen zu schützen.

Die Nerds gestehen sich ein, dass ihre Algorithmen nicht neutral sind, sondern genauso voreingenommen sein können wie deren Programmierer oder Nutzer. Und dass Tech-Firmen zumindest eine Teilverantwortung für die Folgen ihres Tuns übernehmen sollten. Das ist ein Kulturwandel im Valley. Die neue Haltung der großen Tech-Unternehmen könnte sich auf andere Start-ups übertragen. Auf Airbnb etwa, das Leute zusammenbringt, die ein Zimmer zu viel zu Hause haben oder in einer fremden Stadt eines brauchen. Was manchmal dazu führt, dass langfristige Mieter keine Wohnungen mehr in Innenstädten finden. Womöglich sogar auch auf Firmen wie den Fahrdienst und Taxischreck Uber.

Es ist einer der ersten Schritte großer Valley-Unternehmen zu Selbstreflexion und Selbstregulierung. Sie erkennen, dass der hippe Ruf der eigenen Marke in Gefahr ist: Fake News könnten die werbetreibende Industrie dauerhaft abschrecken und so das Geschäftsmodell von Facebook und Google in Gefahr bringen. Außerdem rebellieren die eigenen Mitarbeiter, wenn sie merken, dass die Rede vom Beitrag zu einer besseren Welt bloß eine Floskel ist - oder gar eine Lüge. Der Antrieb der Firmen ist also nicht die Moral, sondern das Geld.

Regierungen sollten dies nutzen und das Valley dabei unterstützen, mehr Verantwortung für Veränderungen zu übernehmen, die die Firmen hervorbringen. Vor allem sollten sie ihnen dauerhaft Berater und Institutionen zur Seite stellen, die daran erinnern, moralische Aspekte auch dann nicht zu vergessen, wenn der Profit nicht mehr bedroht ist. So würden Gesetzgeber auch erreichen, dass die Nerds nicht alleine darüber entscheiden, in welcher Welt wir leben wollen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: