Kolumne "Das deutsche Valley":Rente digital

Kolumne "Das deutsche Valley": Die Kolumne "Das deutsche Valley" von Ulrich Schäfer erscheint alle zwei Wochen, immer am Mittwoch, in der Süddeutschen Zeitung.

Die Kolumne "Das deutsche Valley" von Ulrich Schäfer erscheint alle zwei Wochen, immer am Mittwoch, in der Süddeutschen Zeitung.

Bei der Digitalisierung muss der Staat Vorreiter werden - und zwar nicht bloß beim Breitbandausbau. Dazu beitragen könnte ein Onlineportal sein, das jeden über seine Altersvorsorge informiert.

Von Ulrich Schäfer

Jeder, der arbeitet, kennt diesen Brief: Er kommt einmal im Jahr, Absender ist die Deutsche Rentenversicherung, auf ein paar Seiten rechnet sie vor, was man dereinst als gesetzliche Rente bekommen wird. Aber nach der Lektüre fragt man sich: Reicht das? Was kommt noch hinzu? Dazu müsste man die Unterlagen der Bank hervorkramen, der Lebensversicherung, der Riester-Rente oder anderer Formen der privaten Altersvorsorge. Viel Papierkram, viel Rechnerei - und am Ende unklare Ergebnisse. Das schreckt die meisten ab, und deshalb wissen nur die allerwenigsten Deutschen, wie viel Geld sie wirklich im Alter zur Verfügung haben werden.

Es gibt Länder, die diese Zettelwirtschaft längst abgeschafft haben. Schweden etwa. Dort können sich die Bürger seit mehr als zehn Jahren in ein Portal namens "MinPension" einloggen und nachschauen, was ihnen aus den verschiedenen Formen der Altersvorsorge zufließen wird, 55 Prozent aller Schweden nutzen diesen Service. Auch in den Niederlanden gibt es ein Internet-Portal, welches jeden über die Höhe der staatlichen und der betrieblichen Renten informiert. Und Deutschland? Da setzt man lieber auf das gute, alte Papier.

Doch die neue Bundesregierung ist nun angetreten mit dem Versprechen, dies zu ändern. Im Koalitionsvertrag kündigt sie an, dass der Staat bei der Digitalisierung - endlich! - mit gutem Beispiel vorangehen, seine Dienste digitalisieren und ein Bürgerportal schaffen soll, über das man Anträge einreichen, Urkunden bestellen und den Gang zum Amt online erledigen kann. Und auch ein Online-Portal für die Altersvorsorge wollen Union und SPD schaffen, so steht es auf Seite 92 des Koalitionsvertrags: "Wir werden eine säulenübergreifende Renteninformation einführen, mit der Bürgerinnen und Bürger über ihre individuelle Absicherung im Alter Informationen aus allen drei Säulen erhalten und möglichen Handlungsbedarf erkennen können."

Das klingt ein wenig hölzern, aber es könnte in doppelter Hinsicht eine Revolution auslösen. Denn zum einen könnte es erstmals ein Bewusstsein bei den Deutschen dafür schaffen, wie es um ihre Altersvorsorge steht, und die neue Transparenz könnte das bewirken, was die Politik mit den komplizierten Zuschüssen für die Riester-Rente bisher nur teilweise geschafft hat: Die Bürger wirklich dazu bringen, privat für den Ruhestand zu sparen.

Zum anderen könnte der Staat bei der Digitalisierung endlich mal Akzente setzen, anstatt nur hinterherzuarbeiten. Und dazu reicht es eben nicht, das Breitbandnetz flächendeckend auszubauen und bis 2025 einen Rechtsanspruch auf ein schnelles Internet zu schaffen. Sondern der Staat muss auch seine Prozesse und Dienstleistungen digitalisieren, muss die Papierflut in Behörden abschaffen, muss sich ein Beispiel nehmen an Ländern wie Estland, wo selbst die Kabinettssitzungen der Regierung ohne Papier stattfinden; die Minister schleppen keine Aktenordner mit, sondern nur noch Notebook oder Tablet.

Das Renten-Portal wäre dabei ein ideales Projekt, denn es betrifft alle Bürger. Jeder würde spüren, wenn der Staat hier etwas verändert. Aber ist das realistisch? "Das Projekt ist sicher nicht trivial, aber wenn alle es wollen, ist die Chance da", sagt Rainer Schwenn von der Finanzberatung MLP, die Hunderttausende Kunden in Deutschland in Finanzfragen berät, nicht zuletzt auch in der Altersvorsorge.

90 Prozent der befragten Versicherer würden an so einem Renten-Portal mitarbeiten

MLP hat in einer noch unveröffentlichten Umfrage ergründet, wie die Versicherer dem Portal gegenüberstehen. Und die Ergebnisse stimmen die Berater durchaus hoffnungsfroh: 90 Prozent der befragten Unternehmen wären bereit, an dem Portal mitzuarbeiten. Die Mehrheit (84 Prozent) plädiert dabei für ein Portal, das gemeinsam vom Staat und der Privatwirtschaft betrieben wird. Gegen eine rein staatliche Lösung, wie sie der Koalitionsvertrag nahelegt (dort ist von einer staatlichen Aufsicht die Rede), spricht, dass solch ein Portal auf die Mitarbeit der privaten Anbieter angewiesen ist; ohne deren Daten wäre das Portal sinnlos. Gegen eine rein private Lösung spricht, so Schwenn, "dass dann das Vertrauen der Bürger nicht gegeben wäre".

Eine Herausforderung wird natürlich der Datenschutz sein: Wie kann gewährleistet werden, dass die Daten der künftigen Rentner über ihr Erspartes sicher sind? Rainer Schwenn meint, das Problem lasse sich dadurch lösen, dass die Daten nicht zentral gespeichert werden, sondern nur in dem Augenblick in einer App zusammengeführt werden, wenn der künftige Rentner die Information auf dem Smartphone abrufen will. "Wir sollten keine neue Datensammelstelle schaffen", meint er. Zwei Drittel der befragten Versicherer sehen das genauso. Auch dies würde das Vertrauen der Bürger steigern.

Die App müsste dem Bürger in übersichtlicher Form zeigen: Dieses Niveau an Altersvorsorge habe ich bereits erreicht - und das könnte ich noch erreichen, wenn ich wie bisher spare. Hier sehen die beteiligten Unternehmen das größte Problem: Den Ertrag aus den verschiedenen Alterssparprodukten vergleichbar zu machen, sei nur mit beträchtlichem Aufwand möglich, meint die große Mehrheit. Fünf Prozent glauben gar, dass dies unmöglich sei.

Noch ist es also ein weiter Weg, bis das Renten-Portal starten kann. Damit es gelingt, muss das Vorhaben besser gemanagt werden als ein anderes digitales Vorzeigeprojekt: die Gesundheitskarte. Bei deren Einführung war Deutschland im vorigen Jahrzehnt früher dran als die meisten Staaten. Aber dann verhedderten sich die Beteiligten in endlosen Zwistigkeiten, in denen jeder nur seine eigenen Interessen zu wahren suchte. Heute hakt das Projekt immer noch. So etwas darf sich beim Renten-Portal auf keinen Fall wiederholen, wenn Deutschland sich nicht erneut blamieren will.

Alle Folgen von "Das deutsche Valley", der Kolumne von Ulrich Schäfer über die Digitalisierung in Deutschland, fnden Sie hier.

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