Klimaschutz:Es war einmal ein Plan

Kuh im Föhn

Der Klimaschutzplan soll eigentlich Ziele für alle Branchen festlegen - für die Landwirtschaft genauso wie für Verkehr, Industrie und Immobilen.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Diesen Mittwoch sollte die Langfrist-Strategie das Bundeskabinett passieren, doch in letzter Minute legte sich SPD-Chef Sigmar Gabriel quer. Das irritiert auch viele Genossen.

Von Michael Bauchmüller und Christoph Hickmann, Berlin

Was die Vorarbeit angeht, war der Klimaschutzplan der Bundesregierung echt vorbildlich. Fast ein Jahr lang wurden Bürger an seiner Erstellung beteiligt, über Konferenzen, Arbeitsgruppen, Impulspapiere. So entstand das Werk, Stück für Stück. Als sich der Soziologe Dieter Rucht diesen Prozess jüngst im Auftrag von Greenpeace näher anschaute, beurteilte er das Verfahren als "sorgfältig konzipiert, professionell moderiert und mit sachkundiger Begleitung ausgestattet". Doch den großen Haken ahnte Rucht auch schon. Könne die Politik Abweichungen von dem Ergebnis nicht richtig begründen, entfalte das Verfahren "eine destruktive Wirkung". Die Beteiligten würden dann frustriert, das "ohnehin erheblich gestörte Vertrauen in die politischen Organe und in das politische Personal" würde untergraben werden. Wohl wahr.

In dieser Woche sollte ursprünglich das Bundeskabinett den mittlerweile vielfach veränderten Plan annehmen. Pünktlich zum Klimagipfel in Marrakesch, der seit Montag läuft. Der Plan soll darlegen, wie Klimaschutz in Deutschland konkret aussehen soll. Was er etwa für den Verkehr bedeutet, für Gebäude oder die Energieversorgung, was Industrie oder Landwirtschaft tun könnten, um auf einen klimafreundlichen Pfad zu kommen. Schließlich hat Deutschland fest versprochen, bis 2050 mit 80 bis 95 Prozent weniger Treibhausgasen zu wirtschaften als noch 1990. Doch aus dem schönen Plan wurde nichts.

Von den geplanten Klimazielen für Industrie und Kraftwerke hält Gabriel offenbar nicht viel

Nach übereinstimmender Darstellung von Beteiligten stoppte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wenige Stunden vor der geplanten Kabinettsbefassung das Projekt, sehr zum Entsetzen des zuständigen Umweltministeriums. Dort muss sich Ministerin Barbara Hendricks (SPD) nun womöglich darauf einstellen, ohne Klimaplan nach Marrakesch reisen zu müssen. Denn Gabriels Einwände sind grundsätzlicher Natur.

So stemmt sich Gabriel gegen die geplante "Kommission Erfolgreiche Energiewende, Wachstum und Strukturwandel". Sie sollte, so hieß es in den letzten Entwürfen, "einen Instrumenten-Mix entwickeln, der in den besonders betroffenen Regionen ein wirtschaftlich nachhaltiges und sozialverträgliches Wachstum ermöglicht". Dies solle die Voraussetzungen schaffen "für die schrittweise Umsetzung unserer Klimaziele, ohne dass es zu neuen Brüchen und Benachteiligungen kommt". Bundesländer mit Braunkohle wähnten dahinter prompt "eine Vorbereitung des politisch bestimmten Kohleausstiegs", warnte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) noch am Dienstag. Auch Gabriel will nun von der Kommission nichts mehr wissen - obwohl er noch zu Anfang des Jahres selbst eine Art runden Tisch zum Kohleausstieg in Aussicht gestellt hatte. Mit ihm werde es eine "solche Kohleausstiegskommission nicht geben", sagt er nun.

Von den geplanten Klimazielen für Industrie und Kraftwerke hält Gabriel offenbar auch nicht viel. Sie finden sich in den Entwürfen zum Plan nur in einer Tabelle, sie schlüsselt das Klimaziel für 2030 nach einzelnen Wirtschaftsbereichen auf. Demnach müsste die Industrie ihre Emissionen von zuletzt 181 Millionen Tonnen Kohlendioxid auf gut 130 Millionen drosseln. Die Energiewirtschaft sollte den CO₂-Ausstoß bis 2030 knapp halbieren - auch das auf Kosten vor allem der Kohlekraft. Beide Zielmarken seien dem Wirtschaftsminister zu anspruchsvoll gewesen, hieß es in Regierungskreisen. Das Problem: Werden einzelne Bereiche verschont, müssen andere umso mehr beitragen. Entsprechend mehr also müsste etwa im Verkehr, in der Landwirtschaft oder bei Gebäuden erreicht werden. Der mühsam gefundene Kompromiss mit den zuständigen Ministerien müsste im schlimmsten Fall in Windeseile neu verhandelt werden. Offiziell gibt sich die Bundesregierung immer noch zuversichtlich, dass sie bis zum Wochenende noch eine Lösung findet. Das wäre gerade noch rechtzeitig, um Hendricks samt Klimaplan nach Marokko zu schicken. "Es geht ausschließlich um die Klärung wichtiger Detailfragen", heißt es aus Gabriels Ministerium. Weil der Plan bis ins Jahr 2050 gelte, komme derlei Details "aber besondere Bedeutung zu". Näher wollte sich in der Bundesregierung niemand äußern.

Nicht nur Umweltverbände sind über die jüngste Wendung entsetzt - sondern auch viele in Gabriels SPD. Schließlich hatte bisher meist der Wirtschaftsflügel der Union gegen den Klimaplan gewettert. Ganze Kataloge an Nachforderungen reicht er ein. Nun ist auch so mancher Genosse entgeistert. "Das hätte nicht passieren dürfen", sagt Ute Vogt, als stellvertretende Fraktionschefin zuständig für Umweltfragen. "Die SPD muss die Partei des Klimaschutzes bleiben."

Umweltministerin Hendricks habe sicher keine Luftsprünge gemacht, sagt ihr Sprecher

Niemand hatte mit dieser Wendung gerechnet. "Ich bin davon ausgegangen, dass es eine Einigung gibt", sagt der SPD-Parlamentarier Frank Schwabe. "Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum es die am Ende nicht geben konnte." Hendricks selbst hatte noch Stunden vor Gabriels Veto in der Fraktion den Quasi-Durchbruch bei den Verhandlungen verkündet, bis auf Kleinigkeiten sei alles "in trockenen Tüchern". Vom Sinneswandel ihres Parteichefs erfuhr sie spätabends per SMS. "Es gehört nicht viel Vorstellungskraft dazu, dass sie keine Luftsprünge gemacht hat", sagt nun ihr Sprecher. Aber jetzt schaue die Ministerin nach vorn: Zwei Tage bleiben noch für eine Einigung. Auch der Umweltpolitiker Matthias Miersch gibt sich nach außen optimistisch: "Ich gehe nach wie vor fest davon aus, dass Barbara Hendricks mit einem guten Klimaschutzplan 2050 nach Marrakesch reisen wird", sagt er.

Die Opposition hingegen knöpft sich Sigmar Gabriel vor. Es sei "unfassbar, wie sich der Wirtschaftsminister zum Schutzpatron der Kohlelobby macht", sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Dabei brauche der Klimaschutz gerade nach der US-Wahl "starke Fürsprecher und Vorreiter".

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