Klimaschutz:"Die Menschheit lernt eine bittere Lektion"

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UN-Klimaschützer Yvo de Boer über die Folgen der Wirtschaftskrise für die Umwelt und die grüne Revolution im Weißen Haus durch den neuen Präsidenten.

Markus Balser

Bis zur Klimakonferenz Ende des Jahres in Kopenhagen soll der Holländer Yvo de Boer die Welt auf die Abkehr von fossilen Brennstoffen einschwören. Trotz Wirtschaftskrise müsse es gelingen, den Schadstoffausstoß drastisch zu senken, sagt de Boer und fordert, Industrieländer sollten im Streit mit den Ärmsten einlenken und sich höhere Umweltziele setzen.

"Unser Lebensstil muss sich radikal ändern", fordert UN-Klimaschützer Yvo de Boer. (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr de Boer, Sie gelten als grünes Weltgewissen. Kämpfen Sie in diesen klammen Zeiten auf verlorenem Posten?

De Boer: Niemand kann leugnen: Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat Einfluss auf die internationale Klimapolitik. Sie macht es schwerer, an Geld für den Klimaschutz zu kommen. Aber klar ist auch: Sie ist ein weltweiter Weckruf.

SZ: Was meinen Sie?

De Boer: Ich glaube, die Menschheit lernt in diesen Tagen eine bittere Lektion: Wir erleben, was es heißt, nicht nachhaltig zu wirtschaften. Wir haben lange über unsere Verhältnisse gelebt. Das ist ähnlich wie beim Klimaproblem. Die Gründe der Finanz- und Wirtschaftskrise liegen in unbezahlter Schuld. Investoren, Politik und Banken lernen jetzt hoffentlich, genauer hinzuschauen - und nachhaltig zu handeln.

SZ: Glauben Sie das wirklich? Seit 2000 haben die Industrieländer ihre Treibhausgas-Emissionen erhöht, statt sie zu senken. Jetzt auch noch die Wirtschaftskrise. Droht die Welt beim Klimaschutz zu versagen?

De Boer: Die Emissionen liegen tatsächlich höher als jemals zuvor in der Geschichte. Aber unsere jüngsten Zahlen geben nur bis 2005 Aufschluss. Im gleichen Jahr trat das Kyoto-Protokoll in Kraft. Viele Länder haben erst danach ernsthaft angefangen, Emissionen zu reduzieren. Ich bin mir sicher, dass das Abkommen greift und dass die Gruppe der Industrieländer, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert hat, bis 2012 im Schnitt einen leichten Rückgang erreicht.

SZ: Die Zeit drängt. Sie fordern, schon bis zur nächsten Klimakonferenz in Kopenhagen Ende dieses Jahres Produktion und Konsum umzusteuern. Was muss passieren?

De Boer: Unser Lebensstil muss sich radikal ändern. Schauen Sie: Das Kyoto-Abkommen war gut. Die vereinbarten gut fünf Prozent weniger Emissionen reichen aber langfristig bei weitem nicht aus. Die Wissenschaft macht uns klar: Wir brauchen Kürzungen von 80 Prozent, um den Klimawandel zu stoppen.

SZ: Wie soll das funktionieren?

De Boer: Die Kyoto-Ziele lassen sich noch mit etwas mehr Energieeffizienz, sparsameren Autos oder besserer Wärmedämmung für Häuser erreichen - diese neuen Ziele nicht. Sie stellen Fundamentales in Frage: Die Mittel der Energieerzeugung und der Fortbewegung zum Beispiel. Auf der nächsten Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember müssen wir den ersten Schritt gehen in eine nachhaltige Energiezukunft mit erneuerbaren Ressourcen.

SZ: Die Industrieländer nehmen gerade Milliarden in die Hand, um das Fundament ihrer Wirtschaft zu retten. Wie wollen Sie den Klimaschutz in den nächsten Monaten ganz oben auf der Agenda der Weltpolitik halten?

De Boer: Die US-Regierung denkt über eine Neuverschuldung von zwei Billionen Dollar nach. Die Staatsverschuldung liegt dann bei zwölf Billionen Dollar auf Höhe des Bruttosozialprodukts. Und die Amerikaner sind ja nur ein Beispiel von vielen. Nirgendwo auf der Welt ist das der ideale Moment für einen Besuch beim Finanzminister, um zu fragen: Sind noch ein paar Milliarden für die Klimapolitik da? Es wäre Unsinn, das zu leugnen.

SZ: Woher soll das Geld für die Klimapolitik dann kommen?

De Boer: Das Geheimnis wird es sein, es im Klimaprozess aufzutreiben, nicht draußen. Ein Beispiel: Deutschland versteigert Emissionsrechte - Geld, das in internationale Kooperationen und heimische Klimaprojekte fließen soll. Ein anderes: Europa führt eine Steuer auf den internationalen Luftverkehr ein. Solche Projekte sind der Weg der Zukunft. Es gibt viele Chancen, die Verursacher von Umweltproblemen auch dafür zahlen zu lassen.

SZ: Flugreisen in den Süden oder das Autofahren müssen teurer werden?

De Boer: Menschen hassen es, Freiheiten zu verlieren. Aber wenn man ihnen erklärt: Ihr könnt das alles tun, aber erwartet nicht, dass die anderen dafür zahlen, wird die Botschaft akzeptabler. Von mir aus kann jeder Erdbeeren im kältesten Winter essen. Aber es ist doch fair, wenn man dann auch den hohen Preis für Energie und Emissionen zahlt. Das Kuriose ist doch: Viele Menschen finden Klimapolitik sehr wichtig - aber nicht auf Kosten ihres eigenen Lebensstils. Das kann nicht klappen.

SZ: Die internationalen Klimaverhandlungen stocken - auch weil sich die USA lange gegen einen Pakt gesträubt haben. Wird Präsident Barack Obama das ändern?

De Boer: Der Wechsel im Weißen Haus ist für die Klimapolitik sehr wichtig. Alles, was Präsident Obama sagt, deutet darauf hin, dass er eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen, dass er an internationalen Verhandlungen teilnehmen und dass er Entwicklungsländern die Hand reichen und ihnen helfen will.

SZ: Der Streit zwischen Entwicklungs- und Industrieländern ist zuletzt eskaliert. Sie sprechen von einer historischen Schuld der reichen Welt. Warum?

De Boer: Es gibt in der Klimapolitik einen deutlichen Vertrauensverlust zwischen Reich und Arm - leider nicht ohne Grund. Vor allem die USA verlangten unter Präsident Bush zuletzt von Ländern wie China, Indien und Brasilien, exakt die gleichen Schritte wie die Erste Welt zu unternehmen. Aus der Perspektive von Entwicklungs- und Schwellenländern ist das unfair. Schließlich haben Industrienationen das Klimaproblem zum Großteil selbst verursacht - durch die industrielle Revolution und ihr Wachstum zu enormem Wohlstand.

SZ: Vor gut einem Jahr haben Sie 150 versammelten Ministern bei der Klimakonferenz in Bali mit Hausarrest gedroht, wenn sie sich nicht einigen. Wen nehmen Sie nun ins Gebet?

De Boer: Die Industrieländer müssen Verantwortung übernehmen. Sie müssen die Emissionen um 20 Prozent reduzieren - ohne Vorgaben für die Dritte Welt. Aber sie sollten Anreize setzen und ihren Beitrag dann auf 30 Prozent erhöhen, wenn Entwicklungsländer beim Klimaschutz mitmachen. Und sie müssen ihnen beim Klimaschutz finanziell helfen. Europa wird wohl im März ein solches Paket vorlegen. Dann lässt sich guten Gewissens sagen: Seht her, wir tun was. Was ist euer Beitrag?

SZ: Sie müssen in den nächsten Monaten Ölförderländer wie Saudi-Arabien und bedrohte Pazifikinseln, Industrienationen und solche, die es werden wollen, im Kampf für ein Kyoto-Nachfolgeprotokoll unter einen Hut bringen. Plagt Sie die Angst vor dem Scheitern?

De Boer: Nein, nicht vor dem Scheitern. Aber davor, dass wir auf der Konferenz in Kopenhagen zu viel wollen und dann nicht genug schaffen. Mein größter Albtraum ist, dazustehen wie mein guter Freund Pascal Lamy, der Chef der Welthandelsorganisation WTO. Die macht ergebnislos weiter. Das darf nicht passieren - dann hätte die Welt ein Problem.

© SZ vom 03.02.2009iko - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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