Klagewelle gegen Linux:Va-Banque-Spiel um viele Milliarden Dollar

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Die kleine US-Softwarefirma SCO hat mit Aufsehen erregenden Schadensersatzklagen einen Streit in der Computerindustrie entfacht.

Von Walter Ludsteck

Auf spektakuläre Weise versucht der US-Softwarehersteller seine Umsätze zu steigern. Per Gericht will die SCO Group Schadensersatz wegen angeblicher Lizenzverletzungen eintreiben — allein vom IBM-Konzern fünf Milliarden Dollar. Auch gegen DaimlerChrysler hat SCO eine Klage eingereicht.

Kummer für den Linux-Pinguin: Anhänger der Open-Source-Software sehen die Klagewelle von SCO als Versuch, den Erfolg von Linux zu stoppen. Foto: ddp (Foto: N/A)

Klagen als Einnahmequelle

Unter dem 2002 berufenen Vorstandsvorsitzenden Darl C. McBride hat SCO diese neue Einnahmequelle entdeckt. Die Firma behauptet, dass ihre Urheberrechte am Computer-Betriebssystem Unix illegal zur Entwicklung des konkurrierenden Linux-Systems verwendet werden. Deshalb klagt sie zum einen auf Schadensersatz und bietet zudem eine Art Freibrief, Intellectual Property Licence (IP-Lizenz) genannt, mit denen sich die Computeranwender von solchen Forderungen freikaufen können.

Das Unternehmen, das bis Mai 2003 als Caldera International Inc firmierte, hatte 1995 von der amerikanischen Software-Firma Novell die Rechte an Unix erworben. Darüber, wie umfassend diese sind und ob dagegen verstoßen wurde, ist inzwischen ein hitziger Streit entbrannt, der die ganze Computerindustrie beschäftigt.

Der SCO-Konzern, der 2003 knapp 80 Millionen Dollar umsetzte, hat nämlich im März 2003 IBM verklagt. Die Firma wirft dem Branchenführer vor, die erteilte Unix-Lizenz missbraucht und Teile des Programms unrechtmäßig für Linux bereit gestellt zu haben.

"Der meist gehasste Mann"

Linux ist die bekannteste Software der so genannten Open-Source-Bewegung, die ihre Programme kostenlos anbietet. IBM setzt seit einigen Jahren auf Linux, das sowohl dem Unix-System als auch Windows von Microsoft heftig Konkurrenz macht. Die Anhänger von Open Source sehen in der Klage gegen IBM den verzweifelten Versuch, den Siegeszug von Linux zu stoppen.

Da Caldera/SCO früher selbst Linux vertrieben hat und sich noch 2001 als weltgrößtes Linux-Unternehmen rühmte, wird SCO von der Open-Source-Gemeinde als Verräter dieser Idee betrachtet. Mit Hinweis darauf hat die Financial Times SCO-Chef McBride unlängst als "meist gehassten Mann der Software-Industrie" bezeichnet.

SCO pocht auf Vertragsbruch

"Die Reaktion auf die Klage gegen IBM hat uns selbst überrascht", sagte SCO-Vize-Chef Gregory Blepp im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Für ihn ist der Fall "eine einfache Geschichte", nämlich "Vertragsbruch". Das wird von IBM natürlich zurückgewiesen.

Inzwischen hat sich der Rechtsstreit ausgeweitet. Das auf Linux spezialisierte US-Softwareunternehmen Red Hat klagt gegen SCO wegen unfairen Geschäftsgebarens. Und die Firma Novell behauptet vor Gericht, selbst noch wichtige Unix-Rechte, auf die SCO seine neue Strategie stützt, zu besitzen.

Nur eine Drohkulisse?

Die Gegner von SCO werfen dem Unternehmen vor, eine Drohkulisse aufgebaut, aber keine umfassenden Beweise vorgelegt zu haben. Es werde vielmehr versucht, das Gerichtsverfahren zu verschleppen, um den Markt so lange wie möglich zu verunsichern. Blepp zufolge liegen die Verzögerungen aber nicht an SCO, sondern am US-Rechtssystem. Nach seinen Angaben werden sich die Vorgefechte zwischen den Anwälten weiter hinziehen, denn der Gerichtstermin sei erst für April 2005 anberaumt.

In der Branche wird allerdings spekuliert, dass es gar nicht so weit kommt, sondern dass SCO einen gewinnbringenden Vergleich mit IBM sucht oder sich sogar für teures Geld übernehmen lassen will. Blepp dementiert: "Wir erwarten, dass der Rechtsstreit durch ein Urteil beendet wird." Allerdings könnten andere Lösungen nicht ausgeschlossen werden.

Die Kriegskasse ist gut gefüllt

Die Prozesse kosten SCO viel Geld. Das Unternehmen hat damit das bekannte US-Anwaltsbüro Boies, Schiller & Flexner beauftragt, das zum Beispiel nach der letzten US-Präsidentschaftswahl Al Gore in der Anfechtungsklage gegen George Bush vertreten hat. Die Kanzlei erhält laut Blepp 20 Prozent von allen durch den Rechtsstreit eingehenden Erlösen.

Bezahlt werden die Anwälte - für die in der SCO-Bilanz 2003 Kosten von mehr als zehn Millionen Dollar aufgeführt werden - zum großen Teil mit eigenen Aktien. Einer Vereinbarung zufolge erhält die Kanzlei neben einer Million Dollar in bar Aktienoptionen im Wert von knapp acht Millionen Dollar.

Die Kriegskasse für die Prozesse hat SCO zudem durch Ausgabe von Anteilsoptionen im Wert von 50 Millionen Dollar an Investoren unter Führung der Firma BayStar Capital verstärkt. Weil dabei ein ehemaliger Microsoft-Manager eingeschaltet war, argwöhnten SCO-Gegner, es handle sich um eine indirekte Stützungsaktion für Microsoft. Inzwischen will BayStar allerdings wegen eines angeblichen Vertragsbruchs von SCO die Anteile zurückgeben.

Microsoft und Sun Microsystems gaben nach

Bei der Lizenzvergabe war SCO im vergangenen Jahr insoweit erfolgreich, als Microsoft sowie Sun Microsystems eine Lizenz zeichneten und der Firma damit im vierten Quartal 2003 zu Erlösen von zehn Millionen Dollar verhalfen. Im ersten Quartal 2004 konnte SCO aber nur noch minimale Erlöse aus dem IP-Lizenz-Programm verbuchen.

Dennoch verspricht das Unternehmen den Aktionären in Zukunft erhebliche Einnahmen daraus. Nach seinen Angaben sind 2,5 Millionen Linux-Systeme im Einsatz. Und bei diesen geht SCO davon aus, dass die Rechte verletzt wurden, also Lizenzansprüche bestehen. Um dem Nachdruck zu verleihen, hat SCO in den USA auch erste Klagen gegen Computeranwender eingereicht - gegen DaimlerChrysler und den Autoteilehersteller Autozone Inc. Im Fall DaimlerChrysler vermutet SCO eine Verletzung der Unix-Rechte durch den Einsatz von Linux und fordert eine entsprechende Kontrolle. Bei Autozone geht SCO noch weiter und unterstellt bereits einen Lizenzverstoß.

In Deutschland untersagt

Nach den Worten Blepps erwägt das Unternehmen auch Klagen gegen Anwender in Europa. Medienberichten zufolge wird hier etwa an Siemens und BP gedacht. Blepp wollte keine Namen nennen. Bisher haben dem Manager zufolge etwa 30 Unternehmen mit SCO eine IP-Lizenz vereinbart, bei der die Anwender etwa 700 Dollar pro Servercomputer bezahlen müssen.

Mit weiteren Firmen werde verhandelt — allerdings nicht in Deutschland. Der deutschen SCO-Tochter ist durch einstweilige Verfügung die Aussage verboten, dass Linux-Systeme gegen das SCO-Urheberrecht verstoßen und dass sich Linux-Anwender damit strafbar machen.

SCO strebt laut Blepp eine Aufhebung der Verfügung an. Durch einen Vergleich von SCO-Unix und Linux will man nachweisen, dass Teile der Programme identisch sind. Zugleich sollen mit einem Gutachten die Urheberrechte von SCO bestätigt werden.

Weitreichende Folgen durchaus möglich

Gelingt es SCO - vor allem im Rechtsstreit mit IBM - seine Ansprüche durchzusetzen, könnte das weitreichende Folgen haben. Es würde über IBM hinaus eine ganze Reihe von Computerfirmen, die auf Linux setzen, zu einer Neupositionierung im Markt zwingen. Es würde das Geschäftsmodell von Open Source, Lizenzen kostenfrei abzugeben, in Frage stellen und damit wiederum die Konkurrenzsituation von SCO - aber auch von Microsoft - verbessern.

Und es würde zugleich weltweit tausende von Linux-Anwendern (zu denen auch viele deutsche Behörden zählen) zwingen, an SCO zu zahlen oder auf andere Computersysteme umzusteigen. Doch was ist, wenn SCO den Rechtsstreit verliert? Dann, so Blepp, würde es für das Unternehmen "sehr, sehr schwer".

© SZ vom 27.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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