Kitas:Streik bis zur Niederlage

Die Erzieherinnen zeigen Courage, doch sie werden nicht mehr viel erreichen. Das frustriert. Schuld daran ist Verdi-Chef Bsirske.

Kommentar von Detlef Esslinger

Was in einem Streik als Letztes den Ausschlag gibt, ist die Frage, wer recht hat. Die ist in Interessenkonflikten nur etwas, auf das Rechthaber bestehen. Und genau darum handelt es sich beim Konflikt um die Kitas: um einen klassischen Interessenkonflikt. Von September an wird er wohl wieder durch einen Arbeitskampf ausgetragen. In Kämpfen, egal wo, kommt es weniger auf Argumente als auf Stärke an. In diesem Fall auch auf jene der Nerven.

Im Grunde trauen sich die Erzieherinnen und Sozialarbeiter weitaus mehr als neulich die Lokführer und die Postboten, von Metallarbeitern gar nicht erst zu reden. Die Warnstreiks der letzteren werden von Arbeitgebern jeweils mit routinierten Flüchen hingenommen. Lokführer müssen persönlich vielleicht mal etwas bei Twitter aushalten oder ein paar Bemerkungen auf dem Bahnsteig. Aber ihre Tätigkeit verrichten sie in der Quarantäne des Führerstands, im Streikfall verärgern sie Kunden, die für sie namenlos bleiben.

Ganz anders hingegen die Erzieherinnen: Zu ihren vierjährigen Klienten entwickeln sie eine Herzensbindung, mit deren Eltern haben sie fortwährend Begegnungen. Den Eltern neu angemeldeter Kinder dürfen sie demnächst darlegen, warum auf die Eingewöhnung in der Kita als erstes ein Streik folgt. Und die Eltern der anderen werden ihnen Vorhaltungen machen, ob sie eigentlich wissen, was für Zumutungen sie seit Monaten auslösen. Es verlangt also recht viel Courage, wenn Erzieher und Sozialarbeiter nun den Schlichterspruch vom Juni ablehnen und zu einem abermaligen Streik bereit sind.

Angelernte in der Metallindustrie erhalten mehr Lohn

Das nötigt einen gewissen Respekt ab, unabhängig von der Frage, was man von Forderung und Vorgehensweise hält. Die 240 000 Beschäftigten sind der Ansicht, dass ihre Arbeit grundsätzlich mehr wert sein muss, als es in der bisherigen Bezahlung zum Ausdruck kommt - und dass es ja wohl nicht sein kann, dass Angelernte in der Metallindustrie für die Arbeit mit Maschinen mehr Geld nach Hause bringen als sie in ihrem Lehrberuf für die Arbeit mit Kindern.

Aber bei den meisten Dingen im Leben gibt es nun mal zwei Betrachtungsweisen, und meistens sind beide gleichermaßen legitim. In diesem Fall argumentieren die Kommunen, dass Erzieher bereits jetzt zu den besser bezahlten Berufen im öffentlichen Dienst gehören - und in Ostdeutschland sogar zu den besser bezahlten Berufen insgesamt; nicht allzu viele private Arbeitgeber dort zahlen noch Tariflöhne. Die Kommunen weisen darauf hin, dass der Schlichterspruch bereits ein Plus bis zu 4,5 Prozent vorsah, und dass sie wenig Möglichkeiten haben, steigende Kosten durch steigende Einnahmen auszugleichen. Elternbeiträge decken immer nur den kleineren Teil der Kosten einer Kita ab. Steuern werden von Bund und Ländern festgelegt. Nichts also gegen den Vergleich mit Angelernten in der Metallindustrie - aber die kann Kosten refinanzieren, welche die Kommunen nicht refinanzieren können.

Das Ergebnis ist absehbar: Enttäuschung und Verbitterung

In der realen Welt ist dies, bei aller Courage der Erzieherinnen, derjenige Hinweis, der ihnen letztlich viel von ihrer Stärke nimmt. Wo kein Weg ist, nützt auch der stärkste Wille wenig. Es hat noch nie geklappt, mit Hilfe von Tarifverhandlungen einen als gesellschaftlichen Missstand wahrgenommenen Zustand beseitigen zu wollen; erst recht nicht in einem Ruck. Verdi-Chef Frank Bsirske hat seinen Fehler des Jahres begangen, als er vor Monaten viel zu hohe Erwartungen geschürt hat. Nun ist all den Streikenden der erste Schritt - die maximal 4,5 Prozent, vorwiegend übrigens nur für die Älteren - zu wenig. Nun wollen sie nicht von ihren Kanonenrohren weg. Wann hätte es das je gegeben, dass eine Gewerkschaft einem Schlichterspruch zustimmt, den anschließend mehr als zwei Drittel der davon betroffenen Mitglieder ablehnen?

Dem Verdi-Chef bleibt kaum etwas anderes übrig, als den Kommunen zu drohen und den starken Mann zu simulieren. Andernfalls flöge ihm exakt am 20. September sein Laden um die Ohren. An dem Tag beginnt in Leipzig der Verdi-Bundeskongress, wo er seine Wiederwahl anstrebt. Die Prognose sei gewagt, dass die Erzieher dem Druck durch die Eltern und den Gewissensbissen gegenüber den Kindern auf Dauer nicht standhalten werden. Viel mehr als bisher werden sie und ihr Anführer Bsirske nicht herausschlagen; vielleicht noch etwas weiße Salbe. Doch weil Bsirske solch ein Kosmetikum schlecht seinem Kongress präsentieren kann, muss er versuchen, die Auseinandersetzung bis nach dessen Ende zu strecken. Anschließend werden die Erzieherinnen von ihm enttäuscht und über ihre Arbeitgeber verbittert sein. Was für eine Grundlage, um danach wieder den Kindern Zuwendung zu schenken.

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