Kinder-Apps:Für Entdecker und Bastler

Kinder-Apps: Mit der App "The Human Body" finden Kinder intuitiv heraus, wie der Körper funktioniert. Das Spiel soll Fragen beantworten und aufwerfen.

Mit der App "The Human Body" finden Kinder intuitiv heraus, wie der Körper funktioniert. Das Spiel soll Fragen beantworten und aufwerfen.

(Foto: oh)

Keine Anleitung: Warum die Spieleentwickler von Tinybop es gut finden, wenn Kinder erst irritiert sind.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Raul Gutierrez wusste, dass er sich dringend mit Smartphones beschäftigen muss, als ihm sein sechs Jahre alter Sohn einen Tausch vorschlug. "Er wollte ein iPhone haben und dafür sogar auf seine Geburtstagsfeier verzichten", erzählt Gutierrez, der damals gerade erst nach New York gezogen war und nach einer Geschäftsidee suchte. "Das hat mir gezeigt, wie wichtig diese Geräte im Alltag von Kindern mittlerweile sind", sagt er.

Nun ist Gutierrez der Chef von Tinybop, einer Firma, die Apps für Kinder ab vier Jahren programmiert. Ihr Großraumbüro befindet sich im Stadtteil Brooklyn, 15 Minuten von der Brooklyn Bridge entfernt. Hier arbeiten 20 Mitarbeiter. Auf dem gesamten Stockwerk gibt es nur eine Schiebetür für das Besprechungszimmer, dazu ein Bereich mit Design- und Kinderbüchern. An den Wänden hängen Plakate aus Deutschland, auf denen etwa "die Arten und Eigenschaften der Ruhrkohle" erklärt werden. Die Plakate sehen hübsch aus, man will mehr wissen. Genauso sollen auch die Apps funktionieren.

Tinybop hat bis dato sieben Apps veröffentlicht. Es gibt zwei Kategorien: Apps für Entdecker und Apps für Bastler. Entdecken können Kinder zum Beispiel, wie der menschliche Körper funktioniert, wie Pflanzen und Häuser aufgebaut sind oder warum die Erde bebt, wenn sich Erdplatten verschieben. Wer basteln will, stellt sich eigene Roboter zusammen und schaut, ob sie sich mit den gewählten Bauteilen auch vorwärts bewegen kann.

Vor der Firmengründung hatte Gutierrez sich gefragt, was genau das iPhone für seinen Sohn so erstrebenswert machte. "Es ist eine Wundermaschine, mit der er Fotos, Videos und seine Stimme aufnehmen kann, außerdem Spiele spielen und Bücher lesen. Es war damit besser als alle anderen Spielzeuge." Gutierrez beschreibt sich selbst als altmodischen Vater. Ihm kommt nur Holzspielzeug ins Haus, einen Fernseher hat die Familie nicht. Den eigenen Sohn am Smartphone zu sehen, irritierte ihn zunächst. "Ich habe aber irgendwann gemerkt, dass nicht die Zeit, die Kinder vor dem Bildschirm verbringen, das Problem ist. Sondern die Qualität der Inhalte." Er habe sich 200 Apps heruntergeladen, die für Kinder ausgelegt sind. Deren Hersteller sind mittlerweile seine Konkurrenten, auch deshalb fällt sein Urteil harsch aus: "Das Design war hässlich, kaum schöner als Clipart. Die Apps waren schlecht recherchiert, das Smartphone wurde kaum als Objekt einbezogen." Die Spiele von Tinybop hingegen wurden im App-Store in der Kategorie "innovative Apps für Kinder" ausgezeichnet.

Ihr Design ist in der Tat ausgeklügelt. Für die Erde-App mit den simulierten Erdbeben haben Sounddesigner eine Frequenz gefunden, bei der die meisten Gegenstände zu vibrieren beginnen. Jede App hat einen Hauptdesigner, der sich um die grafische Gestaltung kümmert. Zwischen Recherche und fertiger App liegen sechs bis zwölf Monate. Die Spiele von Tinybop unterscheiden sich grundlegend von Standard-Apps für Kinder. Sie fallen auf, weil sie gewisse Spielelemente nicht besitzen. So gibt es keine Musik, die dröhnt, keine Pfeile, die dem Spieler zeigen, wohin er navigieren soll, und auch keine Animationen. Die Grafik wird algorithmisch erzeugt. Wenn ein Kind das Skelett aus dem menschlichen Körper entfernt, fällt er in sich zusammen. Wie heftig ein Vulkan explodiert, hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der ein Spieler die Lava nach oben befördert. Und wer zwei Wolken aneinanderreibt, sorgt für Regen. "Anstatt Kindern zu sagen, was passiert, zeigen wir es ihnen lieber", sagt Gutierrez. Doch dieses Zeigen passiert eher beiläufig - entweder nach Spiel eins oder Spiel hundert.

Die App über den menschlichen Körper wurde mehr als sechs Millionen Mal heruntergeladen

"Ich wollte von Anfang an Apps basteln, die Kinder zum Nachdenken anregen", sagt Gutierrez. Die Apps sollen nicht alle Fragen beantworten - aber viele aufwerfen, "damit Kinder zu ihren Eltern gehen, wenn sie etwas nicht verstehen". Die dazugehörenden Handbücher wurden in 60 Sprachen übersetzt, damit Eltern auch die richtigen Antworten geben können. Inspiration für seine Ideen liefern Gutierrez wissenschaftliche Kinderbücher, die er früher selbst gern gelesen hat.

Tinybop lädt hin und wieder Kinder ein, damit die Spielentwickler ihnen über die Schulter schauen können. "Wir merken oft, dass Kinder am Anfang desorientiert sind", sagt Gutierrez. Seine Hoffnung ist, dass sie sich die Zeit nehmen, um sich mit der App zu beschäftigen. Gutierrez sagt, er schaue in erster Linie auf die Dauer, die Kinder mit den Apps verbringen, und nicht so sehr auf die Downloadzahlen. Aber auch die können sich sehen lassen. "The Human Body", die App über den menschlichen Körper, wurde mehr als sechs Millionen Mal heruntergeladen.

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