Kein Geld für Schulen:Der Teufelskreis

Lesezeit: 3 min

Obwohl der Staat 2016 einen Überschuss von 24 Milliarden Euro erzielt hat, geht es vielen deutschen Städten und Kommunen schlecht. Sie können sich nur mit teuren Kassenkrediten über Wasser halten.

Von Vivien Timmler

Das quietschgelbe Schild mit der Aufschrift "Ladenlokal zu vermieten" ist verschwunden. Nicht etwa, weil sich jemand interessiert hätte für den 120 Quadratmeter großen Laden, der einmal ein Schuhgeschäft war, dann ein Gemischtwarenladen, zuletzt wieder ein Schuhgeschäft. Nein: Der Immobilienverwalter glaubt schlicht nicht mehr daran, noch mal einen neuen Besitzer zu finden für irgendeinen Laden in Pirmasens. So schlimm sei das alles mittlerweile.

Der Stadt am Westrand des Pfälzerwaldes geht es schlecht. Mit 13 Prozent ist die Arbeitslosenquote in Pirmasens für deutsche Verhältnisse erschreckend hoch, das Ausbildungsniveau ist besorgniserregend niedrig. Schon in der Innenstadt gibt es überall Leerstand, und in den äußeren Bezirken sieht es nicht besser aus. Viele wollen nicht mehr hier wohnen, junge Menschen ziehen weg, es gibt ja keine Arbeit, keine Perspektive. Das Schlimmste aber ist wohl die finanzielle Lage dieser Stadt: Pirmasens hat fast 400 Millionen Euro Schulden, selbst der Oberbürgermeister Bernhard Matheis sagte einmal, das sei "bestürzend".

Die Zahlen, die aus Pirmasens gemeldet werden, stehen gleichzeitig in krassem Gegensatz zu dem, was Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu Beginn des Sommers so stolz präsentierte: Deutschland schwimmt im Geld, fast 24 Milliarden Euro hat der Staat 2016 auf allen Ebenen - Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherung - mehr eingenommen als ausgegeben. Es ist der höchste Haushaltsüberschuss seit der Wiedervereinigung. Und der macht sich auch im Wahlkampf bemerkbar. Die Parteien übertreffen sich regelrecht mit ihren Steuerversprechen. Alle sollen möglichst viel abbekommen von der guten Haushaltslage.

Das Problem: In vielen deutschen Städten kommt davon bislang wenig an. Zwar haben auch Städte, Gemeinden und Kreise im Jahr 2016 einen Überschuss von 4,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am Mittwoch vorgestellt wurde, geht nun allerdings hervor, wie ungleichmäßig diese Überschüsse verteilt sind. Sie werden vor allem in Bayern und Baden-Württemberg erwirtschaftet. In anderen Ländern jedoch bleiben viele Kommunen zurück, einige drohen regelrecht erdrückt zu werden von der immensen Schuldenlast. Das gilt vor allem für Kommunen im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen. Das Gefälle zwischen Arm und Reich wächst auch zwischen den Städten, nicht nur bei den Menschen, die in ihnen leben.

Das verdeutlicht insbesondere ein Vergleich der kommunalen Gesamtschulden nach Bundesländern. Während die kommunale Pro-Kopf-Verschuldung in Baden- Württemberg bei 744 Euro je Einwohner liegt, beträgt sie im Saarland 3733 Euro pro Einwohner - mehr als das Fünffache. Auch viele Kommunen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kämpfen mit Schuldenbergen - alle 17 am höchsten verschuldeten Kommunen Deutschlands liegen in diesen beiden Bundesländern.

Geld für Schulen, Kindertagesstätten und Straßen ist nicht da

Aus eigener Kraft schaffen es viele Städte nicht, diese Schulden wieder abzubauen. Dafür bräuchten sie höhere Einnahmen, etwa aus der Gewerbesteuer, die für Kommunen die wichtigste Einnahmequelle darstellt. Doch auch hier zeigt sich ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen den Kommunen. Der Landkreis München beispielsweise erzielt pro Einwohner sieben Mal mehr Steuereinnahmen als der Kreis Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt). Zwar sind die Einnahmen aus Gemeindesteuern von 2005 auf 2015 deutschlandweit um 56 Prozent gestiegen, die Kommunen haben jedoch in sehr unterschiedlichem Ausmaß davon profitiert. Die Differenzen hinsichtlich der Steuerkraft haben sich eher vergrößert als angenähert. Nur wenige finanzschwache Kommunen haben es in den vergangenen Jahren geschafft, ihre Position zu verbessern.

Über die Jahre ist so in vielen Gemeinden und Kommunen ein regelrechter Investitionsstau entstanden. Zwar wuchsen die Investitionen bundesweit um vier Prozent, das geht aber vor allem auf Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg zurück. Dort sind die Pro-Kopf-Investitionsausgaben mit 644 Euro beziehungsweise 582 Euro pro Einwohner mit Abstand am höchsten. Die niedrigsten Investitionen tätigten die Kommunen im Saarland: Mit 203 Euro je Einwohner lag das Ausgabenniveau hier mehr als 50 Prozent unter dem Flächenländerdurchschnitt und fast 70 Prozent unter dem Niveau der bayerischen Kommunen. "Die Unterschiede in der Infrastruktur und Standortqualität wachsen", sagt die Kommunalexpertin der Bertelsmann-Stiftung, Kirsten Witte. "Die schwachen Kommunen fallen weiter zurück."

Um die eigene Gestaltungskraft nicht vollends zu verlieren, greifen viele Kommunen zu einem Mittel, das mittlerweile als einer der Hauptindikatoren für eine kommunale Haushaltskrise gilt: Kassenkredite. Diese dienen eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Engpässe und sind vergleichbar mit Überziehungskrediten bei einem Girokonto: Die Kommunen handeln quasi so wie eine Familie, die ihren Lebensunterhalt über einen langen Zeitraum mit teuren Dispokrediten finanziert. Dadurch geraten die oft schon hoch verschuldeten Städte weiter in die Schieflage und in einen Teufelskreis, denn auch diese Kredite können sie nur schwer zurückzahlen.

Kassenkredite sollen eigentlich eine Ausnahme sein. In vielen Kommunen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, das zeigt die Studie, sind sie allerdings schon die Regel. Hier liegen auch die am höchsten verschuldeten Kommunen. Die Stadt mit dem höchsten Kassenkreditbestand ist Pirmasens: Die Summe der aufgenommenen Kassenkredite entspricht etwa 8000 Euro je Einwohner.

Auch die benachbarten Städte Kaiserslautern und Zweibrücken sowie der Kreis Kusel weisen hohe Kassenkreditbestände auf. Sie hindern die Stadt daran, Geld in Kindertagesstätten, Schulen oder Straßen zu investieren, weil ständig Geld für die Tilgung der Kreditzinsen anfällt. In einigen Bundesländern konnten Kommunen ihre Bestände kürzlich zwar mithilfe von Landeshilfen zurückführen. Ein Abbau aus eigener Kraft gelingt aber kaum einer der betroffenen Kommunen.

Die Kassenkredit-Praxis führt also dazu, dass klamme Kommunen sich noch weiter vom Bundesdurchschnitt entkoppeln. Der Blick auf deutsche Gesamtzahlen bescheinigt zwar auch den Kommunen hohe Überschüsse. Doch wer in Städten wie Pirmasens wohnt, kann darüber wohl nur müde lächeln.

© SZ vom 10.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: