Kein Aufschwung in Sicht:Das große Zittern

Wenn EZB-Präsident Mario Draghi die ultralockere Geldpolitik beendet, dann bekommen seine Landsleute ein Problem: Sie müssen bis zu 25 Milliarden Euro auftreiben, um ihren Haushalt zu finanzieren.

Von Ulrike Sauer, Rom

Luzifer ist überstanden. Die teuflische Hitzewelle der ersten Augusttage liegt hinter den Italienern. Auch der Ferragosto-Feiertag, 18 v. Chr. zu Ehren des römischen Kaisers Augustus eingeführt, ist vorüber. Nun drängt mit Macht die Nervenprobe der Haushaltsplanung für 2018 auf die politische Agenda in Rom. Die Regierung muss 15 Milliarden Euro, vielleicht sogar 25 Milliarden Euro auftreiben. "Die Schulden sinken nicht, die Wirtschaft wächst nicht, und das Etatgesetz wird für die Regierung nicht einfach sein", sagt der Ökonom Lorenzo Bini Smaghi. Doch diesmal steht das notorische Budget-Drama unter einer besonders widrigen Sternenkonstellation. Luzifer lässt noch einmal grüßen.

In Frankfurt wird Mario Draghi am 7. September aller Voraussicht nach den Ausstieg aus dem billionenschweren Kaufprogramm von Staatsanleihen ankündigen und damit das Ende der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) einleiten. Ein Ereignis, auf das ganz Europa gebannt und mit gemischten Gefühlen schaut. Dessen Folgen aber wohl nirgends so unberechenbar sein werden wie im hoch verschuldeten Italien.

Dazu gesellt sich ein anderer Faktor der Unsicherheit. Im kommenden Frühjahr wählen die Italiener ein neues Parlament. Kaum jemand traut den Abgeordneten zu, sich bis dahin zur Verabschiedung eines effizienten Wahlrechts aufzuraffen. Die Hoffnungen auf eine regierungsfähige Mehrheit im Parlament sind so äußerst gering. Gewiss ist nur: Die dicken Fragezeichen der geldpolitischen Wende und der Innenpolitik summieren sich bald und erzeugen eine gefährliche Unsicherheit. Das ist Gift für ein Land, dessen Schuldenquote auf 133 Prozent gestiegen ist. Und das sind paradiesische Zustände für Spekulanten. Sie lockt die Instabilität an.

Der Schuldenberg ist unaufhörlich gestiegen. Und der Aufschwung blieb aus

Derzeit sind Zeitpunkt und Ausmaß der Reduzierung der Anleihekäufe der EZB noch Gegenstand von Mutmaßungen. Viele Beobachter gehen davon aus, dass Draghi im kommenden Januar beginnen wird, den monatlichen Kauf von 60 Milliarden Euro bis zum Spätsommer 2018 herunterzufahren. Ab 2019 könnte dann eine graduelle Anhebung des Zinssatzes folgen. Der Wandel in der Währungspolitik werde "ein mehrjähriger Prozess" sein, erwartet UBS-Chefökonom Reinhard Cluse.

Das klingt wenig spektakulär und weit weg, doch die Vorboten der Zinswende sind in Italien schon zu spüren. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone kehrt zurück ins Schlaglicht. Wie reagiert der italienische Patient auf die Absetzung der Droge? Wer nimmt dem römischen Schatzamt monatlich seine Staatsanleihen zur Neufinanzierung der Schulden ab? Und: Bricht die endlich spürbare Konjunkturbelebung nach dem Ende der Flut billigen Geldes in sich zusammen?

Die Erinnerung an die Beinahe-Pleite Italiens 2011 ist noch wach. Vor sechs Jahren drohte das damals von Silvio Berlusconi regierte Land die Währungsunion zu sprengen. Zwischen den Sommern 2011 und 2012 zogen ausländische Anleger 270 Milliarden Dollar aus Italien ab. Der Risikoaufschlag auf römische Staatspapiere war gegenüber den Bundesanleihen auf 5,75 Prozentpunkte hochgeschnellt. Draghi stoppte die Abwärtsspirale 2012 mit seiner Whatever-it-takes-Rede.

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Das frisch renovierte Kolosseum in Rom ist eine der wenigen Baustellen, auf denen Italien vorankommt.

(Foto: Westend61/imago)

Als der Italiener 2015 die Stützungsaktion der EZB auf den Weg brachte, wollte er den Euro-Staaten ihre Zinslast erleichtern, den Regierungen Spielraum für Investitionen eröffnen und so das niedrige europäische Wachstum stärken. Mit dem Kaufprogramm Quantitative Easing (QE) wird Draghi am Ende knapp 2,3 Billionen Euro in die Wirtschaft gepumpt haben. Nun aber rückt der QExit näher.

Die Aktion verschaffte Italien Luft. Gegenüber 2012 sank der Schuldendienst 2016 um 17 Milliarden Euro. Doch das hat nicht dazu geführt, das römische Haushaltsdefizit radikal anzugreifen. In Brüssel räumte man Finanzminister Pier Carlo Padoan Jahr für Jahr Flexibilität ein. So sinkt die Neuverschuldung in diesem Jahr auf 2,2 Prozent, statt gegen null zu tendieren.

Die Folge: Der Schuldenberg ist unaufhörlich gestiegen, auf mehr als 2200 Milliarden Euro. Zugleich blieb der Aufschwung aus. Was geschieht, wenn Draghi nun seine expansive Geldpolitik zurückfährt? "Die EZB-Aktion war wie ein Rettungsring, der den Politikern Zeit geben sollte, die Schulden mit einschneidenden Maßnahmen zu senken", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Michele Fratianni.

Das ist nicht eingetreten. "Wenn man den Rettungsring nun wieder wegnimmt, kehren die Voraussetzungen für eine Schuldenkrise Italiens höchstwahrscheinlich zurück", fürchtet Fratianni.

Noch sind das Gedankenspiele mit sehr vielen Variablen. Es stellen sich Fragen über Fragen. Wer schlüpft demnächst in die Rolle Draghis als Abnehmer der römischen Staatspapiere? Wer kauft jeden Monat für sieben bis neun Milliarden Euro italienische Staatsanleihen? Man traut das den großen mittel- bis langfristigen Anlegern wie Versicherungen und Rentenfonds zu. Sie könnten bei einem Zinsanstieg wieder bei italienischen Anleihen zugreifen. Infrage kämen auch die italienischen Sparer, die gemeinhin als renditesensibel, aber als eher abgebrüht gegenüber politischen Risiken gelten.

Aufsehen erregte die US-Investmentbank Jefferies mit der Aufdeckung eines beunruhigenden Trends. Sie berichtete, die italienischen Banken hätten im Juni Staatsanleihen im Wert von 20 Milliarden Euro abgestoßen - ein Rekord.

Die tiefen Rezessionswunden sind nicht verheilt. Das Land ist ärmer als vor einem Jahrzehnt

Innerhalb von zwei Monaten senkten die Geldinstitute ihren Besitz an Regierungsbonds um 7,4 Prozent. "Das könnte ein Anzeichen sein, dass auch italienische Banken erkennen, dass Staatsanleihen nicht der rechte Platz für sie sind in einer Welt steigender Zinsen", sagt Jefferies-Ökonom Marchel Alexandrovich. Ende Juni hatten die Institute nach Angaben der römischen Zentralbank Staatspapiere für 365,8 Milliarden Euro in ihren Bilanzen. Noch nimmt die EZB ihnen ihre Anleihen ab. Und danach?

Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan bewahrt seine Ruhe. "Die Zinsen werden steigen, aber die Post-QE-Welt liegt in unseren Händen und muss von uns gestaltet werden", sagt der frühere Chefökonom der OECD. Darum kommt es nun sehr auf das Haushaltsgesetz 2018 an. Padoans Priorität ist es, die Schuldenquote erstmals seit 2007 zu verringern. Unterstützung erfährt der 67-Jährige von der Konjunktur, die kräftiger anzieht als erwartet. Erstmals seit Beginn der Krise vor zehn Jahren verstärken sich die Signale für einen Aufschwung. Das Statistikamt meldete am Mittwoch, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal um 0,4 Prozent gewachsen ist. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet das eine Steigerung um 1,5 Prozent. Bereits im ersten Quartal war der Anstieg mit 0,4 Prozent überraschend hoch ausgefallen. Die EU-Kommission hatte ursprünglich für Italien 2017 mit 0,9 Prozent gerechnet. Nun prognostizieren Konjunkturforscher dem Land 1,4 Prozent Wachstum. Jeder Zehntelpunkt mehr verschafft Padoan 1,5 Milliarden Euro Spielraum im Haushalt.

Trotzdem hinkt Italien weiter hinter den EU-Partnern hinterher. Die tiefen Rezessionswunden sind nicht verheilt. Das Land ist ärmer als vor einem Jahrzehnt. Die Zahl der Arbeitslosen lag im Juni mit 2,8 Millionen doppelt so hoch wie vor einem Jahrzehnt. Die Jugendarbeitslosigkeit verharrt bei 37 Prozent. Das Durchschnittseinkommen der Italiener ist heute niedriger als 1995. Der Weltwährungsfonds (IWF) erwartet, dass es ein Jahrzehnt dauern wird, bis die Einkünfte auf das Niveau von 2007 zurückkehren. "Eine spürbare Anhebung der Einkommen, die Schaffung von Jobs und der Abbau der Staatsschulden bedürfen größerer Anstrengungen und einer breiten, anhaltenden politischen Unterstützung für Reformen", schreibt der IWF.

Das ist genau der heikle Punkt. Die Chancen für einen beherzten Umbau des Landes sind schlechter als zuvor. Die Politik verliert das Polster der Minizinsen. Ob 2018 in Rom eine handlungsfähige Regierung gewählt wird, ist sehr zweifelhaft. Dafür dürfte sich der Druck der Finanzmärkte auf Italien beim Herannahen des Wahltermins erhöhen. Italien, schwächstes Glied der Euro-Zone, wird in den kommenden Monaten viele Blicke auf sich ziehen.

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