Kaufhäuser in Not:Diese Wöhrls

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Die Modeläden der fränkischen Familie stecken tief in der Bredouille. Doch der Clan ist tief zerstritten.

Von Uwe Ritzer

Die großen Fenster müssten dringend geputzt werden, die trübe Glasfront verleiht der Eingangshalle einen schmuddeligen Eindruck. Überhaupt irritiert dieses Gebäude im Nürnberger Süden. Über vier Stockwerke erstreckt sich die Zentrale der Wöhrl AG, und die großzügigen, elegant ausgestatteten Räumlichkeiten suggerieren, man befände sich im Hauptquartier einer erfolgreichen, blitzsauberen Modefirma.

Das mit der Mode stimmt sogar; Wöhrl verkauft in Süd- und Teilen Ostdeutschlands Kleider und gerade wurde überall ein Prospekt verteilt, das die Herbstkollektion zeigt. "Das Leben ist wunderbar", steht auf dem Titel. Dabei ist bei Wöhrl schon lange nichts mehr wunderbar. Das Unternehmen kämpft um seine Existenz - und eine der erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Unternehmerdynastien um ihren guten Ruf.

Modehäuser, Hotels, Fluglinien, Beteiligungen, Immobilien, Touristik und sogar im Deutschen Bundestag - überall mischen die Wöhrls mit. In diesen Wochen aber hängt der Familiensegen schief, nicht zum ersten Mal. Und alle Familienmitglieder werden von der Öffentlichkeit mehr oder weniger in Generalhaftung genommen für das, was gerade mit jener Firma geschieht, die sinnbildlich für den Aufstieg des fränkischen Clans steht, weil mit ihr dieser Aufstieg begann.

Im September ist die Wöhrl AG mit 45 Millionen Euro Schulden und defizitärem Geschäft unter den Schutzschirm gekrochen, den das Insolvenzrecht über angeschlagene Unternehmen spannt, die Ruhe vor nervösen Banken, Gläubigern und Anlegern brauchen. Drei Monate Zeit zur Regeneration räumt das Gesetz ein, dann startet ein Planinsolvenzverfahren. Als wäre das nicht Krise genug, ist obendrein Sinn Leffers insolvent. Der vor allem in Nordrhein-Westfalen vertretene Modefilialist hat mit der Firma Wöhrl nichts zu tun, gehört aber demselben Teil der Familie. Insgesamt geht es um etwa 3300 Jobs.

So ist alles in allem ein Zustand eingetreten, von dem alte Weggefährten von Familie und Firma sagen, es sei gut, dass Rudolf Wöhrl ihn nicht mehr miterleben müsse. 2010 ist er gestorben, mit 96 Jahren. Mit 19 hat er in Nürnberg Zetka eröffnet, was lautmalerisch für die beiden Buchstaben Z und K stand, eine Abkürzung für "Zuverlässige Kleidung". Sein Talisman, ein Knopf, wurde zum Firmenlogo.

Rudolf Wöhrl und seine beiden Ehefrauen Berta und Mizzi waren fleißige Menschen. Leidenschaftliche Einzelhändler, die Stammkunden am liebsten per Handschlag begrüßten. Die, so erzählen es die Wegbegleiter, regelmäßig durch ihre Geschäfte patrouillierten und persönlich kontrollierten, ob Pullover und Hemden gefällig gestapelt, Anzüge und Abendkleider ordentlich aufgehängt sind. Eines aber bekam der Patriarch zeitlebens nicht in den Griff: seine beiden Söhne.

1970 übertrug er Gerhard, heute 71, und Hans-Rudolf Wöhrl, 68, sein Textilunternehmen zu gleichen Teilen. Er selbst behielt zwei Prozent, um notfalls zu entscheiden, sollten die Söhne uneins sein. Zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gerhard gilt als kunstsinnig, ein Feingeist und Opernfreund, geschäftlich gerne aus der Deckung agierend. Hans-Rudolf ist das krasse Gegenteil. Cleverer Macher und Unternehmer-Haudegen, der geradeheraus sagt, was er denkt, und dem völlig egal ist, ob er damit irgendwo aneckt. Der Unterschied zwischen ihm und seinem Bruder? "Gerhard ist Stratege und Investor", sagt Hans-Rudolf Wöhrl, "ich bin Frontschwein aus Leidenschaft."

Als solches trieb der Jüngere zunächst die Expansion der Wöhrl-Gruppe voran. Aktuell gehören zu ihr noch 34 Modehäuser und knapp 2000 Beschäftigte. Das brüderliche Miteinander im Unternehmen endete allerdings am 28. Februar 2011, Hans-Rudolf verkaufte seine letzten Aktien an der Familien-AG an seinen Bruder. Bereits sieben Jahre zuvor hatte sich Gerhard im Zuge einer Kapitalerhöhung die Mehrheit erobert. Mit Methoden, die dazu führten, dass beide Brüder länger nichts mehr miteinander zu tun hatten.

Um nun die aktuelle Lage zu ergründen, empfiehlt sich ein Besuch bei Andreas E. Mach. Er empfängt im vierten Stock der Wöhrl-Zentrale, in einem leer stehenden Chefbüro, das nur noch als Besprechungszimmer dient. Mach formuliert ruhig und überlegt, sein weicher Tonfall ist angenehm, fast schon pastoral. "Ich sehe mich als Mittler zwischen Unternehmen und Familie", sagt er, der mit Beginn des Schutzschirmverfahrens vom Aufsichtsrat an die Vorstandsspitze wechselte. Dort verdrängte er Gerhard Wöhrls Sohn Olivier, der sich nun Strategiechef nennen darf. Als läge die Strategie noch ganz in den Händen der Eigentümerfamilie.

Tatsächlich werden bei der Wöhrl AG die Lichter ausgehen, wenn sich keine Investoren finden. "Wenn die Familie im Unternehmen verbleiben will, muss sie, wie jeder andere Investor auch, frisches Geld mitbringen", sagt Mach, der selbst nicht glaubt, "dass die Familie wieder eine Mehrheit anstrebt". Mit der Distanz dessen, der von außen kommt, hat er die Fehler analysiert. Von einem "wendigen Modehaus mit guter, attraktiver und auf die Kunden der jeweiligen Region abgestimmter Ware" habe sich Wöhrl "zu einem austauschbaren Marktplatz für alle gängigen Modemarken entwickelt".

Der ältere Bruder Gerhard Wöhrl. (Foto: dpa)

Anders formuliert: Wöhrl ist langweilig geworden. "Es fehlt an Inspiration und Überraschung im Sortiment", formuliert Mach diplomatisch. Nun braucht es nicht nur frisches Kapital, sondern auch eine andere Kultur und Struktur. Vier Filialen werden geschlossen. Dabei wird es nicht bleiben; vor allem in der Zentrale müsse es "eine Radikalkur geben", so Mach.

Interessant wäre, was Gerhard Wöhrl zu alledem sagt. Warum hat er etwa 2013 Sinn Leffers gekauft, obwohl es dieser Firma auch nicht gut ging? Doch Gerhard Wöhrl lässt ausrichten, er habe für ein Gespräch keine Zeit. Sein Bruder Hans-Rudolf ist da redseliger. Und für ihn scheint klar zu sein: Gerhard hat es verbockt.

Von einem Schlösschen im Nürnberger Vorort Reichenschwand aus, zu dem auch ein Tagungszentrum und ein Hotel gehören, dirigiert Hans-Rudolf seine Geschäfte. Bekannt wurde er als Flugunternehmer. Mit 18 Jahren erwarb er den Pilotenschein. Parallel zum Job im Modehaus gründete und leitete er die regionale Fluggesellschaft NFD. 2003 übernahm Wöhrl für einen Euro die marode Deutsche BA, um sie 2006 für 150 Millionen Euro an Air Berlin weiterzuverkaufen.

Außer mit der Fliegerei verdient Hans-Rudolf Wöhrl sein Geld mit Hotels, Immobilien- und Beteiligungsgeschäften. Könnte er nun nicht die Firma des Bruders retten, die doch beider Namen trägt? "Mein Vermögen steckt in anderen Firmen und könnte gar nicht für eine Sanierung flüssiggemacht werden", sagt Hans-Rudolf Wöhrl. Gefordert ist er nur als Vermieter von Immobilien mit Wöhrl-Filialen.

In diesen Tagen, in denen Mitarbeiter um ihre Jobs und viele Anleihegläubiger um ihr Geld bangen, kriegt auch Hans-Rudolf Wöhrl üble Beschimpfungen ab. Ebenso wie seine Frau Dagmar, CSU-Bundestagsabgeordnete seit mehr als 20 Jahren. Ein anonymer Pöbler raunzte sie im Internet an, gefälligst das Modehaus zu retten. Warum sollte seine Frau "ihr Geld in ein krankes, fremdes Unternehmen stecken", antwortete ihm Hans-Rudolf Wöhrl. "Würden Sie Ihr Geld dem Schwager schenken, mit dem sie noch nicht einmal ein besonders herzliches Verhältnis haben?"

Seit er 2011 ausgeschieden sei, habe er von der Wöhrl AG "keine Zahlen mehr gesehen, und ich war auch nicht über die Pläne des Managements informiert", sagt Hans-Rudolf und lässt keinen Zweifel daran, dass einiges anders gelaufen wäre, wäre er noch dabei. "Mehr als tragisch" sei der Kardinalfehler seines Bruders Gerhard gewesen, nicht auf die unternehmerischen Kräfte der Familie zu vertrauen, sondern externen Managern und Beratern. Einmal habe Gerhard ihn nach seiner Meinung über einen Manager gefragt. "Ich sagte ihm wörtlich: Wenn du den Mann einstellst, läutest du das Ende der Firma ein. Er hat ihn eingestellt."

Der Manager musste nach zwei Jahren wieder gehen, und Olivier Wöhrl wurde Vorstandschef, Gerhards damals 31-jähriger Sohn. Der gelernte Maschinenbauingenieur "wurde nie auf seine Aufgabe als Vorstand vorbereitet", sagt Onkel Hans-Rudolf. Dem wäre es am liebsten gewesen, sein Sohn Christian Greiner hätte das Modehaus zusammen mit Cousin Olivier geführt. Dazu kam es nicht. Nun ist besagter Christian Greiner als Vorstand der Münchner Textilhausgruppe Ludwig Beck erfolgreich. Zu der gehört seit 2015 die auf Männermode spezialisierte Wormland-Kette. Sie expandiert, und am Mittwoch eröffnen Vater Wöhrl und Sohn Greiner in Nürnberg eine Filiale. Unweit jenes Wöhrl-Stammhauses, dessen Zukunft offen ist.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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