Kartellstrafen:Wer zuerst kommt

Nur dank der Kronzeugenregel werden viele Kartelle aufgedeckt. Wer zuerst und in vollem Umfang auspackt, kommt ohne Strafe davon. Ein bisschen mitmachen darf er sogar noch, damit das Kartell nicht zu früh auffliegt.

Von Caspar Busse

Gerecht ist dieses Verfahren sicher nicht. Seit 2000 können in Deutschland (in Europa schon seit 1996) sogenannte Kronzeugen, die entscheidend zur Aufdeckung eines Wirtschaftskartells beitragen, straffrei ausgehen. Sie erhalten keine (oder stark reduzierte) Bußgelder, auch wenn sie sich strafbar gemacht haben und von den Vorteilen der Kartellabsprachen profitiert haben. Normalerweise gilt: Wer gegen das Gesetz verstößt und deshalb verurteilt wird, wird belangt und kommt nicht völlig straffrei davon, auch wenn er als Kronzeuge aussagt und kooperiert. Aber in Wettbewerbsverfahren tritt Pragmatismus an die Stelle von Gerechtigkeit. Davon kann nun auch Daimler profitieren, die Stuttgarter haben etwaige Wettbewerbsverstöße als Erste bei den Behörden angezeigt und würden damit in den Genuss einer sogenannten Bonus-Regelung kommen, also des Erlasses des Bußgelds.

Der Hintergrund: Illegale Kartelle sind nur schwer aufzudecken und gerichtsfest nachzuweisen. Absprachen finden in der Regel im Geheimen, in sogenannten Hintergrundrunden statt, die Beteiligten schweigen darüber, schon aus eigenem Interesse, Beweismittel gibt es in der Regel nicht oder sie werden schnell vernichtet. Durch die Kronzeugenregelung entsteht nun aber für Einzelne ein Anreiz, umfassend auszupacken. Der Lohn: Sie werden anschließend verschont. Dadurch kommt in ursprünglich festgefügte Kartelle plötzlich eine große Unsicherheit, denn nichts ist schlimmer als das Misstrauen, dass einer aussteigen könnte. "Die Stabilität des Kartells wird wirksam geschwächt", so das Bundeskartellamt.

Das Vorgehen ist sehr effektiv: Inzwischen werden gut die Hälfte aller in Deutschland aufgedeckten Kartellvergehen durch Hinweise von Kronzeugen ausgelöst. So können teilweise sehr hohe Strafen an die übrigen verhängt werden. Auch wenn einer der Beteiligten erst später, sogar nach dem Beginn möglicher Durchsuchungen, umfänglich auspackt, kann er noch mit einer Minderung der Strafen rechnen, immerhin um bis zu 50 Prozent. Entscheidend für den Abschlag ist der Zeitpunkt der Kooperationsanzeige.

Die Firmen müssen "ernsthaft, in vollem Umfang, kontinuierlich und zügig" kooperieren

Eines der prominenten Beispiele ist das sogenannte Bierkartell: Eine ganze Reihe von Brauereien hatte lange Zeit die Preise für Fass- und Flaschenbier abgesprochen. Elf Unternehmen mussten zusammen Strafen von mehr als 330 Millionen Euro zahlen. Nur der größte Braukonzern der Welt, AB Inbev (Beck's, Franziskaner), ging straffrei aus. Er hatte das Verfahren ins Rollen gebracht und ausgepackt.

Auch in der EU ist das möglich. Die Voraussetzungen sind streng: Die Informationen müssen bislang nicht bekannt sein, der Antrag muss als Erstes gestellt werden. Auch im weiteren Verfahren muss das Unternehmen "ernsthaft, in vollem Umfang, kontinuierlich und zügig" mit der Kommission zusammenarbeiten. Außerdem müssen alle Kartellaktivitäten sofort beendet werden, "außer jenen notwendigen Kartellaktivitäten, die nach Auffassung der Kommission im Interesse des Erfolgs der Nachprüfungen noch nicht beendet werden sollten", heißt es. Ein bisschen muss man also noch weitermachen.

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